Ein unterbewertetes Meisterwerk
SAFE AS MILK ist ein unterbewertetes Meisterwerk. Die beiden ersten Tracks SURE `NUFF`N YES I DO und ZIG ZAG WANDERER gehören meiner Meinung nach zu den dynamischsten, mitreißendsten Nummern im rockigen R&B-Bereich, die jemals aufgenommen wurden. Sie haben einen stoisch kochenden Rhythmus und sind dadurch auch als Tanzbodenfüller einsetzbar. Der Gesang des Captains hat weiter an Individualität gewonnen. Er modelliert seine über mehrere Oktaven gehende Stimme, so dass der Eindruck entsteht, mehrere Persönlichkeiten würden Besitz von ihm ergreifen. Nach diesem Tour de Force-Ritt wird bei dem souligen CALL ON ME dass Tempo etwas gedrosselt ohne die Intensität zu schmälern. Der beschwörende DROPOUT BOOGIE verblüfft durch unerwartete Tempowechsel und bei dem vergleichsweise schmalzigen I`M GLAD weiß man nicht recht, ob das ernst gemeint ist oder ob es sich um eine Parodie handelt. Es folgt ein weiterer unglaublicher Song: ELECTRICITY verbindet ein Boogie-Gerüst mit schamanenhaftem Gesang und exotischen Geräuschen von einem Theremin. Dieses Instrument wurde in den 60er Jahren gerne bei Soundtracks eingesetzt um Geistergeräusche einzubringen oder das Auftauchen von Aliens zu untermalen. Hier mischt der flirrende Klang den Song ordentlich auf und bringt psychedelische Effekte ein. Beim Einspielen des Songs hat Beefheart durch seinen extremen Stimmumfang und seine Gesangsdynamik ein Telefunken-Mikrofon im Wert von 1.200 Dollar geschrottet. YELLOW BRICK ROAD verbindet R&B mit Country-Rock, der 1967 erst am Entstehen war. Beim Westcoast-Rock geprägten ABBA ZABA frönt Beefheart der stimmlichen Lautmalerei mit dadaistischen Textpassagen. PLASTIC FACTORY ist ein groovender Slow-Blues mit cooler Harmonika und einigen Tempowechseln. Es folgt mit WHERE THERE`S WOMAN eine unter die Haut gehende Gospel-gefärbte Nummer mit emotionalen Eruptionen und sehnsüchtigem Gesang. GROWN SO UGLY ist ein zickiger elektrischer Blues mit strammem Bass/Drum-Backing. Den Abschluss bildet AUTUMN`S CHILD, ein merkwürdiges Lied zwischen Ballade und Marching-Song. Das Album unterscheidet sich in vielem von dem, was an großartigen Alben in dieser Zeit eingespielt wurde, weil es Traditionen des frühen Rock`n`Roll mit aktuellen Strömungen des Westcoast-Sounds und des englischen Beat mit Ansätzen von extravagantem Songwriting mit künstlerischem Anspruch verbindet. Und wichtig: es verliert nicht die Bodenhaftung, ist nicht zerdehnt, wie viele Improvisationen späterer Jahre. Diese Kombination konnte natürlich nur von exzellenten Musikern umgesetzt werden, unter denen besonders der Gitarrist Ry Cooder, knapp 20 Jahre jung, hervorstach.