Die Wüste lebt: Bombino vermittelt mit Vehemenz und Sanftmut zwischen Tradition und Gegenwart.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Musik eine universelle Sprache ist und dennoch gilt weiterhin der anglo-amerikanische Raum als hauptsächliche Brutstätte und Region der alleinigen Rechte-Inhaber, was die Erzeugung von stilprägender Pop- und Rock-Musik angeht. Afrika hat da kaum jemand auf dem Schirm. Und das trotz solch vorbildlicher Künstler wie Fela Kuti oder Angelique Kidjo. An manche Ohren ist allerdings schon der Sound von Tuareg-Gruppen wie Tinariwen oder Tamikrest aus Mali gedrungen, der umgehend den Stempel Wüsten-Trance-Rock verpasst bekam.
In diese Schublade passt auch Bombino, der schon mit Dan Auerbach von The Black Keys im Studio war und deshalb beinahe als etabliert angesehen werden kann. Und das aus gutem Grund, denn seine Musik ist gar nicht so weit weg vom Blues, Folk oder Garagenrock der Kollegen aus den USA. Der Sänger, Gitarrist und Komponist Bombino stammt aus Niger und gehört dem Nomaden-Volk der Tuareg an, das ursprünglich in der Sahara lebte. Er wurde am 1. Januar 1980 als Goumour Almoctar geboren und als Muslim erzogen. Seine Eltern lehrten ihn, Ehre, Würde und Großzügigkeit als Lebensprinzipien anzuwenden.
In erster Linie waren die Tuareg Händler. Da sie aber gegen den Kolonialismus und eine strenge Auslegung des Islam rebellierten, haben sie sich den Ruf von erbitterten Kämpfern erworben. Bombino kämpft aber nicht der Waffe, sondern mit Worten für mehr Anerkennung für sein Volk. Im Sinne der Tuareg-Traditionen wurde der Sohn eines Automechanikers von seiner Großmutter erzogen, bis er 1990 mit seinem Vater und seiner Oma aufgrund eines Bürgerkriegs nach Algerien fliehen musste. Dort begann er, sich das Gitarre spielen selber beizubringen. Als 1992 im Niger die Militärregierung durch eine demokratisch gewählte Institution abgelöst wurde, kehrte Bombino in seine Heimat zurück. Hier erhielt er dann professionellen Gitarrenunterricht bei dem angesehenen Musiker Haja Bebe und wurde Mitglied seiner Band. Und da er der jüngste der Gruppe war, nannten ihn alle Bombino, was "kleines Kind" bedeutet. Da sein Vater nicht wollte, dass er Musiker wurde, zog er nach Libyen, arbeitete dort als Hirte und hatte nebenbei genügend Zeit, um seine Gitarren-Technik zu verbessern. Es stellten sich auch bald erste musikalische Erfolge ein und Begegnungen mit Musikern der Rolling Stones stärkten seinen guten Ruf. 2011 erschien dann das erste international veröffentlichte Album "Agadez", gefolgt von dem von Dan Auerbach produzierten "Nomad" aus 2013. In Woodstock entstand 2015 "Azel" und "Deran" wurde 2017 in Casablanca (Marokko) aufgenommen.
Das aktuelle Album "Sahel" bezieht sich auf das Leben in der Sahel-Zone, zu der die Staaten Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Sudan gehören. Sahel ist arabisch und bedeutet so viel wie "Küste" oder "Ufer der Wüste". Das Werk besteht aus zehn Songs, die sowohl persönliche Belange als auch politische Themen behandeln. Die hierzu verwendete Sprache ist Tamasheq, die Muttersprache von Bombino.
Der Opener "Tazidert" (= Geduld) groovt wie Hölle! Als würden Neil Young & Crazy Horse, Can und Sly & The Family Stone um die Wette spielen. Es kommen also druckvolle Energie, verzückende Rauschhaftigkeit und erfrischende Lebensfreude zusammen. Der Rhythmus ist elektrisierend, herrlich primitiv und hypnotisch. Psychedelische Gitarren bringen die Hörerschaft um den Verstand, dezent zischende Synthesizer-Töne stellen die Verbindung zum Jenseits her und die Stimmen beschwören uralte Geister, die im Gehirn Endorphine freisetzen, sodass der wirbelnde akustische Irrsinn in Freude und Lust umgewandelt wird. Magisch, gewaltig, euphorisierend!
"Alwane" (= Gedanken und Erinnerungen) zeigt danach eine folkloristische Ausrichtung mit transparenten, freundlichen, unverstärkten Tönen. Der mehrstimmige Gesang lässt einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn und ein inniges Zusammengehörigkeitsgefühl inmitten einer rauen, lebensfeindlichen Umwelt und politisch instabilen Lage bildlich werden. Das Lied richtet sich an einen Freund, der in seiner Jugend einen Fehler gemacht hat, der sich negativ auf sein ganzes Leben ausgewirkt hat. Der Text beinhaltet die Botschaft, "weise und vorsichtig zu sein, denn das Leben ist zerbrechlich".
Die scharfe, schneidende und quengelnde E-Gitarre von "Aitma" (= Mein Volk) ist das auffallendste Merkmal des flotten Garagen-Rockers, der von einer unnachgiebig vorwärtsdrängenden Percussion angetrieben wird. Das Lied ruft die Tuareg zur Solidarität auf, damit ihre Kultur erhalten bleiben kann.
Tendenziell ist "Si Chilan" (= Zwei Tage) ein Pop-Song, aber einer mit einem locker swingenden Takt und einem abenteuerlichen, die Sinne betäubenden E-Gitarren-Solo. Das lockere Stück hat jedoch einen ernsten Hintergrund. Es erinnert an die Verfolgungen und Ungerechtigkeiten, die den Tuareg in den 1980er Jahren angetan wurden.
Das ruhige "Ayo Nigla" (= Komm, lass uns gehen, mein Liebling) kann musikalisch mit Country-Folk verglichen werden. Der Track transportiert Gefühle der Einsamkeit und der Melancholie, die in einer bittersüßen Melodie verpackt sind. Kein Wunder, denn es geht um eine enttäuschte Liebe.
Aufstachelndes Tuareg-Jodeln, sich hingebungsvoll umwerbende E-Gitarren und ein stoisches Schlagwerk-Stakkato machen aus "Darfuq" (= Die Sonne und der Mond, göttliche Macht) einen euphorischen Hypno-Rocker. Demütiger Glaube und Ehrfurcht vor der Natur liegen diesem Stück als Haltung zugrunde.
"Ayes Sachen" (= Dieses Leben ist schwierig) lehnt sich an den Reggae-Rhythmus an. Bombino lässt seine E-Gitarren-Töne elegant fließen und die Percussion trägt geschmeidige Zutaten bei. Somit wird eine gelöste Stimmung erzeugt, obwohl sich die Poesie mit quälenden Problemen beschäftigt. Nämlich mit dem Misstrauen und Verrat zwischen sich nahe stehenden Personen.
Für "Nik Sant Awanha" (= Meine Brüder, ich kenne unsere Situation) kommen eine wohlige Easy-Listening-Atmosphäre, eine bedächtige Swing-Beweglichkeit sowie stoische Minimal-Music-Abläufe und würdige afrikanische Klänge für ein harmonisches Stelldichein zusammen. Dabei ist das Lied eine Warnung an die Tuareg: Sie sollen sich weder spalten lassen, noch ins Exil gehen, sondern nach Freiheit streben. Zurzeit sind sie nämlich in keiner Regierung der Sahel-Zone vertreten und deshalb werden ihre Interessen nirgends berücksichtigt.
"Itisahid" (= Ich denke an dich, meine Geliebte) kann sozusagen als Trance-Folk bezeichnet werden. Das Stück wird mit Akustik-Gitarren- und Gesangs-Loops versorgt, sodass der Eindruck eines Klang-Strudels entsteht. Die Erinnerungen an eine glückliche Beziehung, die durch eine plötzliche Trennung zerstört wurde, werden thematisiert. Dieser Schock-Zustand kann einem psychischen Schwindel gleichen, was akustisch ausgedrückt wird.
Mit "Mes Amis" (= Meine Freunde) kommt "Sahel" langsam und sanft, mit zurückhaltenden Tönen, die Gedanken an eine unerwiderte Liebe begleiten, zum Ende.
Durch seinen ausgeglichenen Gesang, der auch in den krachenden Momenten keine Spur von Aggressivität aufweist, gibt Bombino die Grundhaltung seiner Lyrik vor: Leben und leben lassen. Neben einer J.J. Cale-Lässigkeit und einer Crazy Horse-Raubeinigkeit ist es vor allem die spezielle, verzaubernde afrikanische Exotik, die der Musik ihren besonderen Charme verleiht. "Sahel" ist ein Werk, das sich auch bei völliger Unkenntnis über afrikanische Musik-Kulturen ohne Störgefühl durchhören lässt. Es biedert sich nicht an anglo-amerikanische Musik an, sondern durchdringt sie und stellt eine Fusion dar, die clever, reizvoll und zugänglich ist. Die Platte zeichnet sich durch ein hohes Maß an Mitgefühl und Leidenschaft aus. "Sahel" besitzt aufgrund der Integration verschiedener Kulturen zudem eine ähnlich verbindende Wirkung wie "Graceland" von Paul Simon.