BLUE CHEER: The '67 Demos (Colored Vinyl)
Die Geburt des Heavy Metals!!!
BLUE CHEER: The '67 Demos (Colored translucent blue Vinyl)
Diese schon am 22.11.2018 veröffentlichte Scheibe vom Label Beat Rocket (= Unterabteilung der Sundazed Records) war in den letzten Jahren vergriffen und nicht mehr lieferbar. Nun ist sie am 26.01.2024 in identischer Form und abermals in farbigem Vinyl (in einem transluzentem türkis-kobalt-blauen Vinyl!) wiederveröffentlicht worden. Toll!!! Die obigen Liner Notes von jpc sind außerordentlich informativ. Die kann nur ein fachkundiger und kenntnisreicher Fan verfasst haben. Ihnen braucht man kaum noch etwas hinzufügen. Vielleicht folgendes: Wie kam es eigentlich bandhistorisch zur Erfindung des ohrenbetäubenden Brachialsounds von BLUE CHEER ausgerechnet mitten im "Summer Of Love" der Bay Area von San Francisco? Warum haben die Cheer nicht brave, poppige, kommerziell einträgliche Flower-Power-Hippie-Musik gemacht? Dazu hatten die berühmten drei harten Jungs der legendären 68er Formation Mitte 1967 einfach keinen Bock. Ging wegen ganz eigener musikgeschmacklicher Vorlieben einfach nicht. Die im Jahr 1966 gegründete Urformation spielte als Sextett harmlose, eingängige, nicht sonderlich lärmig-hyperelektrifizierte Blues-Musik und lieferten auch schon mal als Auftragsarbeiten die Soundtracks für progressiv-psychedelische Kunstfilme (filmische Art Works) jener Zeit und jener Gegend. Diese Musik muß für die drei ultraharten Kernmitglieder derartig öde gewesen sein, dass über einen stilistischen Richtungswechsel diskutiert wurde. Als Resultat eines regelrechten Richtungsstreits sind der Keyboarder und der Mundharmonikaspieler aus der Band "gegangen worden". Ihnen folgte aus Protest der Rhythmusgitarrist Jerre Stephens (= Bruder von Leigh Stephens). Da waren es nur noch drei (Dickie Peterson, Leigh Stephens und Paul Whaley), die eine starke Vorliebe für die Cream, Jimi Hendrix Experience, Yardbirds und die Who hatten. Wie konnte man deren Sound fortentwickeln und noch härter gestalten, ohne als Kopisten zu gelten? Lösung des kreativen Problems: mit der Anschaffung und dem Setup eines Sechser-Marshall-Stacks, riesigen Lautsprechertürmen und der Generierung einer ohrenbetäubenden Lautstärke bei ihren Konzerten: einfach sämtliche Verstärker voll aufdrehen und auf eine Mischpultkonsole und einen ausbalancierten PA-Wohlklang verzichten. Pure Lautstärke und schieren rock'n'roll- & blues-durchränkten, hyperelektrifizierten Lärm & übersteuerte Hendrix-Psychedelik darbieten und das Cream-Klangbild exzessartig bis jenseits der Schmerzgrenze hyperamplifizieren: geboren war das neue Sound- und Stilkonzept. So erfand das Trio mitten im Flower-Power-Sommer von 1967 im Prinzip den Heavy Metal und bespaßten mit diesem Lärm in etlichen Konzerten die Kids der Bay Area. Typische Vertreter des San-Francisco-Sounds wie die Jefferson Airplane und Grateful Dead, die damals Ohren- und Augenzeugen von Blue-Cheer-Konzerten wurden, mochten deren Musik überhaupt nicht. Sie hassten sie. Auch viele Rockkritiker und Rezensenten hassten die Band, wie zum Bsp. Barry Graves und Siegfried Schmidt-Joos in ihrem Rocklexikon von 1973. Ich zitiere: "Als eine der lautesten und oberflächlichsten Bands jener Zeit musizierten die drei CHEERs einen vulgär-vitalen, troglodytenartigen Primitiv-Rock zusammen, mit ausgeborgten Gitarren-Riffs und strapaziösen Power-Schlägen ihres Effekt-Schlagzeugs, der den deprimierenden Horrorwirkungen des nach ihnen benannten Drogenpräparats BLUE CHEER sehr wohl entsprechen mochte. In dieser düsteren Aggressivität lag die morbide Faszination der Gruppe. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Hard-Rock-Bands wie GRAND FUNK RAILROAD wussten sie aber nicht ihr limitiertes Spieltalent durch eine clever inszenierte Schau zu tarnen.“ Ende des Zitats. (Exakt dieser für mich geile Totalverriss der BLUE CHEER im Rocklexikon hat mich in den Siebzigern dazu angetrieben, in den damaligen jpc-Filialen(-Ladengeschäften) in Osnabrück (im legendären Neumarkt-Tunnel) und in Münster (am Alten Fischmarkt) nach BLUE-CHEER-Scheiben zu suchen. Bin natürlich fündig geworden. Thanx jpc!) Zurück zur Bay Area anno 1967/1968. Viele junge Menschen mochten den Lärm, und vor allem auch hartgesottene Biker, die die BLUE-CHEER immer wieder gerne zu ihren Treffen einluden und darum baten, auf ihren Versammlungen doch bitte aufzuspielen und für eine zünftige Beschallung zu sorgen. Keine geringere als die Freundin (namens Nancy Winarick) des Ex-Hells-Angels und Managers der CHEER (namens Allan "Gut" Turk, Gut = nickname!) lieh oder schenkte dem aufstrebenden Trio Geld, damit sie in einem kalifornischen Studio (die drei oben aufgelisteten) Demo-Aufnahmen einspielen konnten. In welchem Studio dies im Herbst des Jahres 1967 geschah, wissen heute weder die noch lebenden Companions aus dem Umfeld der CHEER noch die zahlenmäßig überschaubaren Survivors der Band selbst. (Es lebt übrigens nur noch Leigh Stephens, s.u.! ) Die Aufnahmen entstanden höchstwahrscheinlich in einem Studio in Berkeley oder in Oakland. Das Tape mit den drei o.a. Aufnahmen wurde in der Folgezeit vom lokalen Radiosender KSAN FM häufig gespielt (again and again) und erfreute sich bei den Hörern großer Beliebtheit. Insbesondere die darauf befindliche Covernummer "Summertime blues" wurde (noch vor der VÖ der Vinyl-Single mit einer neu eingespielten Version) zum Underground-Kulthit in der Bay Area. Als ein lokaler Discjockey einen Plattenvertrag mit Mercury/Philips vermittelte, liefen innerhalb weniger Wochen 50.000 Vorbestellungen für eine Platte auf (die nach Fertigstellung auf den Namen "Vincebus eruptum" getauft wurde), die erst noch eingespielt werden mußte. Die weitere, nach der VÖ des Debütalbums sich anschließende Karriere der Band bedarf an dieser Stelle keiner Beschreibung und gehört in die Rezensionen der ersten beiden Vinyl-Longplayer aus Anfang bzw. Ende1968. Damit wäre auch endlich - puh! - der episch-historisch ausschweifende Auftakt meiner Anmerkungen beendet. Ich beginne, das Album zu beurteilen und zu bewerten. Das Cover ist top und zeigt auf der Frontseite die legendären FAMOUS THREE anno 1968 in full flight & on stage, vermutlich in ihrer kalifornischen Heimspiel-Area (San Francisco, Los Angeles oder so). Das originäre Schwarzweißfoto, welches beide Innenseiten des Klappcovers von "Outside Inside" (a.k.a "Outsideinside") ziert(e), wurde hier nachträglich mit Fotoshop im On-stage-/Live-in-concert-(with-Light-Show)-Stil farblich-bunt aufgepeppt. Die Rückseite des Covers zeigt rechts oben kleinformatig das recht scharf aufgenommene Originalfoto. So weit, so gut. Bis hierhin alles okay. Aber dann ziehe ich, zieht man, das großformatige Poster aus dem Inneren des Albums hervor und klappt es auf. Schock! Ich und wir sehe(n) ein gar nicht zu den vorliegenden Albumaufnahmen passendes Gruppenfoto aus 1969 oder Ende 1968. Dickie Peterson war zum Frisör und hat nur noch eine mittellange, pflegeleichte und schnell fö(h)nbare Hausfrauenfrisur, wie sie in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts beim weiblichen Geschlecht üblich war, sofern dieses verheiratet war und Kinder hatte. Und das Schlimmste: Der freundlich lächelnde Mensch ganz rechts auf dem Poster ist nicht Leigh Stephens, sondern Randy Holden, der Ende 1968 Leigh Stephens (der nach 1 ½ Jahren keinen Bock mehr auf den archetypischen BLUE-CHEER-Krach und das drogengesteuerte Verhalten seiner beiden Bandkumpels hatte) als Gitarristen ablöste. Kotz, würg. Der Einstieg von Randy markiert für mich ganz subjektiv das Ende und den Beginn des Niedergangs von BLUE CHEER. Mit ihm - Randy Holden - wurde 1969 das für mich völlig unerträgliche, modernistische Progressiv-Rock-Album "New! Improved!" eingespielt. Sein musikalischer Gitarren-Beitragsmist befindet sich auf Seite 2 des wohl schlechtesten Rockalbums und bedauerlichsten Rock-and-Roll-Suizids aller Zeiten. (Der Gitarrist der Kacknummern von Seite 1 heißt übrigens Bruce Stephens und ist weder der Bruder von Leigh Stephens noch in irgendeiner Weise verwandt mit ihm. Es herrscht nur Nachnamensgleichheit.) Die Pressqualität der farbigen Vinylscheibe ist absolut superb. Alles läuft rund, auf planer Ebene (was Ebenen eigentlich, mathematisch-geometrisch gesehen, gewöhnlich so an sich haben) und absolut surface-noise-frei. Kein einziges Knister- und Kack- äh: Knackgeräusch bei bislang nur zwei Abspielungen, ich schwöre. Diese beiden Abspielungen habe ich auf Band mitgeschnitten. Ich höre mir seitdem nur noch das Tape an, damit der Mint-Charakter der Platte für die Nachwelt erhalten bleibt. Noch zum Abschluss eine kleine rock'n'roll-historische Randnotiz: Die ebenfalls als Erfinder des Heavy Metals gehandelten MOTORCITY FIVE (kurz: MC5, auch MC 5 geschrieben) aus Detroit haben erst ein paar Monate später ihren legendären, ultraharten Gruppenstil kreiert und erfunden, mit den völlig übersteuerten Aufnahmen von "Looking at you" und "Borderline" im United-Sound-Studio von Detroit am 5. Januar 1968. Diesen Brachial-Sound hatten die BLUE CHEER aber schon ein halbes Jahr zuvor erfunden und im Herbst 1967 professionell in einem Studio auf einem Tape verewigt. BLUE CHEER? Die einzig wahren und ersten Erfinder des H.M.-Stils. Der diesbezügliche Rock'n'Roll-Verdienst für alle Zeiten gebührt ehrenvoll einzig und allein dieser Truppe. Die Demo-Aufnahmen klingen übrigens noch rauer, ruppiger, verzerrter, ungeschliffener und wilder als die neu eingespielten Versionen für "Vincebus eruptum". Den Sound und Stil dieses Albums hatten die CHEER schon im Herbst 1967 bei ihren Demo-Aufnahmen drauf. Ein Must-Have für alle BLUE-CHEER-Fans. Special Thanx to Nancy Winarick, die hoffentlich noch lebt. Rock'n'Roll-Heaven & -Paradise for her, forever, in time and space!
FAZIT: Diese Scheibe ist die Gestalt und Materie angenommene Apotheose aller feuchten Vinyl-Träume, echt! Feiern wir die einzig wahren Erfinder des Heavy Metals im steten Gedenken und Andenken an die drei ultraharten Jungs aus S.F./U.S.A. und mit dem Kauf dieser Platte (die ich persönlich als Checker und Schnaller schon seit ca. 5 Jahren besitze. Sie hat damals übrigens fast 35 Euro bei jpc gekostet.).
Ach so, noch watt: Auf meiner Erstausgabe von 2018 steht auf einem großen, runden Sticker/Aufkleber, der auf der Frontseite des Covers unten rechts aufgeklebt ist, folgender Text:
THE ´67 PROCREATION THAT BIRTHED HEAVY METAL!
(leserlicher: "the ´67 procreation that birthed heavy metal!")
Taped from the archives of KSAN in San Francisco, traded in dark circles for decades, these raw and rambunctious demos finally got the studio restoration they deserved! Blue Cheer's primordial recordings from fall 1967 display the thunderous power that conceived a genre. Pressed on colored vinyl as a single-sided LP to give you the unadulterated uninterrupted ´67 KSAN experience! Blue Cheer poster included.
Bei meinem Erstveröffentlichungs-Exemplar aus 2018 befand sich der Sticker nicht auf der Frontseite des Covers selbst, sondern auf einer durchsichtigen Schutzhülle mit einer nach hinten abgefalteten, tesafilmartigen Klebelasche (ähnlich wie bei einem Briefumschlag, nur aufmach- und wiederverschließbar. Ihr versteht hoffentlich meinen restringierten Sprachcode!) Vorbildlich! Gewöhnlich werden die Scheiben ja heutzutage immer in Klarsichtfolie eingeschweißt. Zur Entnahme der Vinylscheiben muß die Einschweißung dann immer seitlich aufgeschlitzt werden. Und bei aufklappbaren Gatefold-Covern…: Ihr wisst schon! Ätzend!
Keine ANMERKUNG noch eines verhinderten Oberlehrers: das englische Adjektiv "rambunctious" des Stickes heißt auf Deutsch laut, lärmend, wild. Wie zutreffend in Bezug auf die BLUE CHEER!
(Also ich – hoffer - kannte diese Vokabel bis soeben nicht. Ich mußte im Langenscheidt nachschlagen. Wieder was dazugelernt auf die alten Tage!)
Wie beschreiben wir empfehlungstechnisch künftig unseren Kumpels die angebotene, am 26.01.2024 wiederveröffentlichte Scheibe? Merken wir uns zu diesem Zweck die Quintessenz der Produktinfo des Stickers:
THE ´67 PROCREATION THAT BIRTHED HEAVY METAL!
Keep on bangin', Folks!!!
War dieser Beitrag hilfreich?
Ja klar! Natürlich! Total hilfreich, wie ich (hoffer) selbst finde!
INFO-AFTERBURNER / NACHTRAG:
Noch ein paar überwiegend traurige Lifeline-Fakten zu den Musikern der legendären End-'67er und '68er BLUE-CHEER-Trioformation.
Die traurige Nachricht gleich vorneweg: Paul Whaley, der begnadete, geniale Drummer der BLUE CHEER, lebt nicht mehr. Er starb am 28. Januar 2019 an Herzversagen im Schlaf, 2 Wochen nach seinem 72. Geburtstag, in Regensburg, Germany (in Regensburg!!!; liegt glaube ich in Bayern, bin schon dort gewesen: schönes Städtchen, aber leider ziemlich rock’n’roll-arm). Dickie Petersen war ja schon 9 ½ Jahre zuvor im Alter von 63 Jahren in Erkelenz, Germany an den Nachfolgekomplikationen eines harmlosen operativen Eingriffs im Kontext einer Prostatakrebserkrankung gestorben. In Erkelenz (!!!, liegt ein paar Kilometer südlich von Mönchengladbach), wo er in seinen letzten Lebensjahren gelebt und gewohnt hatte sowie immer wieder gerne als begeisterter Motorradfahrer just for fun unterwegs war. (Letzteres hat mir ein Ex-Biker-Kumpel von Dickie vor ein paar Jahren mal auf der Dortmunder Plattenbörse erzählt, als ich an einem Stand nach BLUE-CHEER-Vinyl-Singles fragte. Bin auf dieser Börse übrigens fündig geworden.) Nun aber zu der einzig guten, freudigen Nachricht: Der geniale Gitarrist Leigh Stephens lebt noch. In Deutschland (Germany) vielleicht/womöglich? Weiß ich nicht, würde mich aber gar nicht wundern. Und was mich auch nicht wundert: Er verließ 1968 nach der VÖ des 2. Albums "Outsideinside" (a.k.a. "Outside Inside") nicht im Streit oder wegen musikalischer Differenzen die Band, sondern weil er langsam schwerhörig wurde und zu ertauben drohte. Er soll als einziges Mitglied der Band keine Drogen genommen haben und bis heute immer einen gesunden Lebensstil gepflegt haben bzw. pflegen. Von dem Mann können wir was lernen, Folks!
Long live Leigh Stephens!!!
Ist dieser Beitrag immer noch hilfreich?
Ja klar!
INFO-AFTERBURNER / NACHTRAG, Part Two:
Laut Wikipedia verließ Leigh Stephens im Herbst 1968 wegen persönlicher Differenzen mit Dickie und Paul die Band. Leigh hat offen und ehrlich den Drogenkonsum seiner beiden Bandkumpels sowie ihr Benehmen und drogengesteuertes Verhalten kritisiert, woraufhin er von Dickie und Paul zum Verlassen der Band aufgefordert wurde. Machte Leigh dann auch und nahm eine Karriere in anderen Bands auf (siehe Wikipedia!). Er spielt bis heute (Stand: 27.01.2024) Elektro-Gitarre.
Cool, Leigh!
Long live Leigh Stephens!!!
hoffer
P.S.: Das "Summertime-blues"-Video in der Beat-Club-Folge Nr. 37 vom 16.11.1968 featuret übrigens Randy Holden an der Lead-Gitarre, und nicht Leigh Stephens. Im Archiv von Radio Bremen befindet sich auch noch als Outtake das Video "Feathers from your tree" (das ist eine Nummer von der zweiten, damals jüngst veröffentlichten LP "Outsideinside"; ist bislang noch nie gesendet worden; höchste Zeit für eine Veröffentlichung, Brothers and Sisters von Radio Bremen, bevor wir ollen Zeitzeugen alle tot sind!!!).