Durch die Aufnahmen für "Hadsel" wurde Zach Condon der Blick auf das Wesentliche ermöglicht.
Zach Condon kann nicht nur als Musiker, sondern auch als Klangforscher bezeichnet werden. Unter dem Pseudonym Beirut, welches er schon mit 14 Jahren ins Leben rief, bereist er neugierig die musikalische Welt, um sich bei interessanten Ton-Mustern aus unterschiedlichen Kulturen zu bedienen.
Das achte Beirut-Werk "Hadsel" entstand allerdings unter einschneidenden Bedingungen. Vorausgegangen waren schwerwiegende Probleme mit dem Hals, die Condon 2019 dazu zwangen, seine Tournee abzusagen, was den Fortbestand seiner Karriere infrage stellte. Diese Sinnkrise münzte der sensible Künstler in einen Schritt der radikalen Abnabelung von seinem bisherigen Leben um: Er verschanzte sich Anfang des Jahres 2020 in einer Hütte auf der Insel Hadseløya im Norden von Norwegen. In dieser herausfordernden Umgebung musste sich Zach "mit vielen Dingen aus der Vergangenheit und Gegenwart herumquälen, während die Schönheit der Natur, die Nordlichter und die furchterregenden Stürme" die Sinne anregten.
In der Hütte befand sich ein Harmonium, das den Tatendrang des Tüftlers anstachelte und so richtete er ein kleines Aufnahmestudio mit zusätzlichem Equipment in seiner Bleibe am Rande des Polarkreises ein. Durch eine glückliche Fügung kam es zum Kontakt mit dem örtlichen Ersatzorganisten, der einen Zugang zur Kirchenorgel verschaffte, was den Aussiedler zu weiteren sinnlichen Sound-Schöpfungen inspirierte. Was als Erholung mit Fluchtpotential begann, führte letztlich zu einem unverhofften Klangabenteuer. Der Mann aus Santa Fe arbeitete wie in Trance, spielte alle Instrumente und Gesangsspuren selber ein und überwand durch die kreative Beflügelung auch seine mentalen Probleme. Heraus kamen dann Kompositionen mit einer spirituellen Ausstrahlung voller Güte und Dankbarkeit.
Für das Stück "Hadsel" wird eine feierliche Stimmung erzeugt. Dafür sorgen die zackig gespielte Kirchenorgel, hymnische Blechbläser und ein sphärischer Background-Chor. Zach Condon begleitet diese herzerweichende Situation mit sakralem Gesang. Ein ergreifender Auftakt.
Mindestens genauso erhaben geht es mit "Arctic Forest" weiter. Das Lied erinnert in seiner würdevollen Ausführung an die großen Songs von "Pet Sounds" der The Beach Boys, wie "Let`s Go Away For Awhile".
Dieser Eindruck wird mit dem sowohl melancholischen als auch beschwingten "Baion" fortgeführt, das rhythmisch an den brasilianischen Bossa Nova angelehnt ist.
Überhaupt verbreitet das Album ständig eine Atmosphäre, die Leichtigkeit und Besinnlichkeit zusammenbringt, was auch bei "So Many Plans" zu hören ist.
Melbu liegt auf der Südseite von Hadseløya und ist durch seine Hafenanlagen für Sportboote ein beliebtes Ziel von Freizeitkapitänen. Der Track "Melbu" besteht aus einem Pump-Orgel-Solo, das die Gedanken in eine Dimension fernab der Realität fortschweben lässt.
Künstliche Bläser prägen das Eingangsbild zu "Stokmarknes" und lassen den melodisch ausgefeilten Track wie ein Zerrbild eines Synthie-Pop-Hits erscheinen. Aber kurz darauf wandelt sich der Eindruck zugunsten eines feinsinnigen Art-Pops mit ausgefeilten, abwechslungsreichen und detailverliebten Arrangements. Stokmarknes ist übrigens der Hauptort der Kommune Hadsel.
"Island Life" entpuppt sich durchaus als waschechte Ballade, die allerdings von einem luftig-leichten Karibik-Flair umhüllt wird. Dieses Konstrukt verbreitet wiederum eine andächtig-pastorale Aura.
Und obwohl das anschließende "Spillhaugen" (Berg in Norwegen) über einen aufmunternden Rhythmus verfügt, verfügt das Lied dennoch über ein sakrales Klima.
Synthetische Keyboards verpassen "January 18th" danach ein schmieriges Antlitz, bevor Zach Condon mit seiner ehrfürchtigen Stimme für eine andachtsvoll-besinnliche Vorstellung sorgt.
Die geografische Zuordnung der Musik von "Süddeutsches Ton-Bild-Studio" ist im Kern nicht Deutschland, sondern als Weltmusik ohne feste Zuordnung anzusehen. Sphärisch klingende Keyboards mit kristallinem Schneeflocken-Effekt und dezent eingeblendetem Regen bilden dabei einen zusätzlichen, von allem irdischen Überfluss befreiten Reiz.
Ein schneller Metronom-Takt löst bei "The Tern" zunächst eine aus dem Hintergrund aufsteigende Hektik aus. Obwohl Orgel und Gesang gelassen dagegenhalten, entwickeln sich die Rhythmen durch zusätzlich eingebrachte exotische Trommeln zu drängenden Elementen, die sich bis zum plötzlichen Ende des Songs prägend behaupten.
Das hymnische "Regulatory" legt sich zum Abschluss wohltuend sanft auf die Seele, wird aber durch einen lateinamerikanischen Takt lebhaft im Fluss gehalten.
Internationale Folklore-Einflüsse, wie vehemente Balkan-Grooves, sind bei "Hadsel" weniger offensichtlich ausgeprägt als bei früheren Aufnahmen. Zach erzeugt ein Paket voller weihevoller Lieder, die er allerdings nicht in eine Ansammlung schwermütiger Noten packt. Er bestäubt die Stücke mit einem meditativen Flair und lässt sie nach einem erfüllten Leben streben, wobei sie befreiend durchatmen können. Die mild-freundliche Stimme erzeugt eine positive suggestive Wirkung, die durch die wiegenden, warmen Orgeltöne gutmütig gestützt wird. Die beeindruckende Landschaft Norwegens und die Reinigung der Seele haben Spuren bei der Wahl der Klänge hinterlassen. Der Rückzug nach Hadsel schärfte Condons Blick für das Wesentliche und ließ Musik entstehen, die von zeitloser Schönheit durchdrungen ist.