Power-Pop aus Schweden: Bedroom Eyes erweisen sich mit "Sisyphus Eyes" als würdige Hüter des Genres.
Jonas Melker Alexander Jonsson wurde am 6. April 1983 in Föllinge, Schweden, geboren und tritt seit 2006 als Power-Pop-Inkarnation unter dem Namen Bedroom Eyes auf. Jonas Jonsson schreibt die Songs und singt. Ihm zur Seite stehen Markus Eriksson (Gitarren und Tasten), Kim Fastesson (Gitarren), Emil Fritzson-Lindquist (Schlagzeug) und Mattias Andersson (Bass). Mit "Sisyphus Rock" erscheint am 25. Februar 2022 das dritte Album des Projektes mit acht neuen Liedern, die live in einem Studio, das sich in den Wäldern Schwedens befindet, aufgenommen wurden.
Wie kann der Begriff "Power-Pop" beschrieben werden? Die Bezeichnung wurde erstmalig von Pete Townshend 1967 geprägt, um den damaligen Stil von The Who zu beschreiben. Er lebte in den 1970er Jahren wieder auf, um für die Musiker, die sich nach der Trennung der Beatles an deren Musik orientierten, einen Oberbegriff zu finden. Zu den Vertretern dieser Richtung zählten unter anderem Todd Rundgren, die von Paul McCartney geförderten Badfinger, die Raspberries um Eric Carmen oder Big Star, bei denen Alex Chilton nach seiner Box Tops-Zeit Mitglied war. Ende der 1970er und in den 1980er Jahren gab es durch Bands wie The Knack ("My Sharona"), The Romantics ("Talking In Your Sleep"), Cheap Trick ("I Want You To Want Me") und Blondie ("Hanging On The Telephone") kurzzeitig eine Power-Pop-Hitphase. In den 1990ern kam es im Alternative- und College-Rock zu einem Revival, welches Formationen wie The Posies, Urge Overkill, Teenage Fanclub, Fountains Of Wayne oder Redd Kross hervorbrachte. Mit "Bohemian Like You" von The Dandy Warhols gab es dank des Einsatzes in einem Werbespot im Jahr 2000 einen weiteren Hit im Power-Pop-Stil.
Trotz des breiten Interpretations-Spektrums gibt es eine Schnittmenge, die für viele Songs des Genres gilt: Oft sind die Lieder gitarrenorientiert, besitzen clevere Melodien mit Ohrwurmqualität und werden von jugendlich-leidenschaftlichem Gesang getragen, der überschäumende Gefühle transportiert. Der emotionale Überschwang der Teenager-Jahre wird quasi akustisch wiederbelebt.
Den Schweden um Jonas Jonsson ist offenbar bewusst, welche Tendenzen und Entwicklungen der Power-Pop im Laufe der Jahrzehnte genommen hat, denn sie fahren ihre Fühler aus, um aus bekannten und verborgenen Ecken des Genres den passenden Nektar für ihre Bedürfnisse saugen zu können. Der Inspiration folgt die fruchtbare Erkenntnis, welche Bestandteile zur Umsetzung der eigenen Kreationen beitragen können.
"Streaming My Consciousness" gehört zu den Pop-Rockern, die sich langsam ins Hirn fressen, zunächst jedoch erst einmal einen abwartenden Eindruck hinterlassen. Aber mit zunehmender Laufzeit steigen Druck und Intensität an. Die Gitarren schwingen sich zu stabilisierenden Soli auf, die die süße Melodie mit spritzig-sprühenden Duftmarken durchziehen.
"Sisyfuzz" verkörpert den Pop-Punk der bewährten Buzzcocks-Schule. Harmonie und Schärfe liegen dicht beieinander und die elektrisch verstärkten Saiten sorgen mit himmelsstürmenden, vor Leidenschaft berstenden Akkorden für pure Energie. Leider ist der Song schon nach eineinhalb Minuten vorbei, grade als die Band richtig loslegen und abheben wollte. Ein Hit, der leider abgewürgt wird.
Mehrere Faktoren beeinflussen "The Dark Between The Stars" wesentlich: Lieblicher Gesang, ein strammer Rhythmus, eine knurrende Lead-Gitarre, die bellt, aber nicht beißt und weiche Hintergrund-Klang-Wolken, die nach künstlichen Flöten oder Mellotron-Tönen klingen. Diese zwischen weich und hart angesiedelte Kost mag es sich mit niemandem verderben, weder mit den Freunden eingängiger Pop-Musik, noch mit der Fraktion, die treibend-lebhafte Klänge erwartet. Genau deshalb dümpelt der Track unentschieden zwischen Power und Pop dahin.
Das Stück "Paul Westerberg" ist eine Würdigung für den Sänger und Gitarristen der Replacements aus Minneapolis, die ihre Hochphase Mitte- bis Ende der 1980er Jahre hatten. Sie wurden damals dem College-Rock zugerechnet, bei dem sich bekanntlich viele Power-Pop-Einflüsse identifizieren ließen. Westerberg hat auf seiner Homepage schon registriert, dass es diesen Song gibt, der ihm gewidmet ist. Er kommentiert das Ereignis so: "Der Text: "Du hast einen neuen Freund, habe ich gehört, wenn du einen Ersatz brauchst, bin ich dein Paul Westerberg" ist so charmant. Ich persönlich weiß nicht, ob ich einen berühmt-schrulligen Einsiedler als Freund haben möchte, aber jedem das Seine, oder?". Jedenfalls schlüpfen Bedroom Eyes hier in die Rolle der Replacements und lassen sich zu Ehren des Leaders auf deren zackigen, Punk- beeinflussten Garagen-Rock ein, den sie mit einem Bubble-Gum-Pop-Refrain ausstatten, der vielversprechende akustische Widerhaken aufzuweisen hat. Die Hormone schlagen Purzelbäume.
Die Ballade "One Of Those Things" fühlt sich in diesem Gefüge wie ein Fremdkörper an, weil sie so anheimelnd und sanft daherkommt. Zu viel leichter Pop, zu wenig zupackende Power. Noise-Rock-Feedback-Gitarren lassen bei "Kim" das Krach-Pendel dann zur anderen Seite ausschlagen, aber der ausgleichende Gesang federt die aggressiven Drohgebärden freundlich ab. Die Gitarren beruhigen sich wieder, beherbergen zwar noch ein raues Kratzen, lassen sich jedoch wohlwollend auf eine melodische Unterstützung ein und werden erst in der vorgezogenen Ausblendung nach drei Minuten wieder gegen den Strich gebürstet. Dann ist noch immer nicht Schluss, denn das Stück nimmt nach einer Minute Feedback-Taumel nochmal für eine Minute Fahrt auf, bis dann der wirkliche Fade-Out einsetzt.
"Store Blå" (= großes blau) wird in dem schwedischen Dialekt Jämska gesungen und von einem schnellen synthetischen Break-Beat eingeleitet. Danach übernehmen vital-hypnotische Schwingungen das Geschehen, bevor die wieder sympathisch-gutmütig klingende Stimme von Jonas Jonsson den Song in Richtung Mainstream lenkt, was dem von Schrammel-Gitarren angeführten, eingängigen Rock-Pop-Sound zugute kommt.
Zum Abschluss gibt es mit "Here Comes Godot" noch einen kraftvoll-euphorisch tönenden Rocker, der aus dem Repertoire des aus Maryland stammenden Tommy Keene sein könnte. Die großartige, leider viel zu früh verstorbene Leitfigur des Power-Pop hat einige Vorzeigealben, wie zum Beispiel "Based On Happy Times" aus 1989, hervorgebracht. "Here Comes Godot" hat alles, was einen deftig zupackenden, melodisch hoch attraktiven Song ausmacht: Mächtig angeheizte, druckvoll-erregte Gitarren, ein zielstrebiger Rhythmus, der jedes Tempo und jede Schwankung mitmacht und ein Gesang, der große Leidenschaft und unbändige Lebensfreude ausdrückt.
Wie schön, dass Power-Pop-Verehrer immer noch nicht ausgestorben sind! Auf "Sisyphus Rock" wird vieles richtig umgesetzt, was die Faszination des belebenden Musik-Stils ausmacht. Es wird jede Menge Spaß verbreitet, den auch die Musiker bei ihren spontanen Aufnahme-Sessions gehabt haben werden. Zumindest kann man das Lachen am Ende von "Here Comes Godot" so deuten. Die Songs zaubern ein Lächeln ins Gesicht, lassen mindestens einen Fuß wippen und an stürmische Jugendzeiten denken. Was für ein herrlicher gedanklicher Jungbrunnen! Hätte Sisyphus diese Musik bei seinem Frondienst gehört, hätte er den Stein mit Leichtigkeit und einem Pfeifen auf den Lippen den Berg hoch gerollt und die Sage müsste umgeschrieben werden.