Undisputed Truth, Motown-Funk der Spitzenklasse
Die Namen der Motown-Gruppe ‚Undisputed Truth’ und der ihres Mentors und Produzenten Norman Whitfield (1941 - 2008) sind für immer untrennbar miteinander verbunden.
Zu Norman Whitfield:
Whitfield war Innovator („mit absolutem Gehör“, so Berry Gordy), der experimentierfreudig den Motown-Sound in neue Dimensionen führte und ihn einer jüngeren Generation von Musikliebhaber/innen öffnete.
Er wuchs im New Yorker Stadtteil Harlem auf und erklärte später: „I’ve got some serious ghetto in me ...“ Schon in den frühen 1960er Jahren fand er den Weg nach Detroit und in die junge Talentschmiede MOTOWN-RECORDS. Zunächst wurde sein Potenzial als genialer Komponist/Produzent jedoch nicht erkannt und genutzt; Whitfield startete bei MOTOWN als Tamburin-Spieler (zu hören u.a. auf dem Song „MONEY“ gesungen von Barrett Strong) und als Studio-Hilfskraft.
So assistierte Norman Whitfield u.a. dem legendären Holland-Dozier-Holland Team beim Temptations-Song „Ain’t To Proud To Beg“ von 1964 als Co-Writer. Die Wende für ihn kam im Jahre 1967 (Whitfield: „I can hear a whole song complete in my head ...“), als er den Kult-Titel „I Heard It Through The Grapevine“ komponierte und niemand bei MOTOWN an einen kommerziellen Erfolg des Songs glauben mochte. Norman aber war hartnäckig und nervte seinen Boss Berry Gordy solange, bis dieser der Veröffentlichung in der härteren Version von Gladys Knight & The Pips zustimmte.
Als der Titel kurz nach der Veröffentlichung im Jahr 1967 auf Platz 1 der R&B-Charts und auf Platz 2 der POP-Charts stieg, hatte Norman Whitfield seinen Durchbruch geschafft. Der Veröffentlichung der, bereits einige Monate früher aufgenommenen, Version von Marvin Gaye stand nun nichts mehr im Wege. Marvins Interpretation schoß 1968 denn auch regelrecht an die Spitze von R&B- und POP-Charts und verkaufte sich 4 Millionen Mal. Norman Whitfield stieg zum „Genius Of MOTOWN“ auf und die Künstler/innen rissen sich um seine Songs.
Die Temptations mit ihren wunderbaren Harmonie- und Call- And Response-Gesängen, die stark an die Gospel-Tradition der schwarzen U.S.-Kirchen angelehnt waren, gerieten gegen Ende der 1960er Jahre ein wenig in den Ruf „nicht mehr auf der Höhe der Zeit“ zu sein. Hier war eine kleine „Blut-Auffrischung“ vonnöten und „Dr. Whitfield“ hatte die geniale Lösung parat: „PSYCHEDELIC SOUL“.
Im Oktober 1968 „explodierte“ der Temptations-Song „Cloud Nine“ (komponiert und produziert von Norman Whitfield und seinem Freund und Kollegen Barrett Strong) in der Pop-Musik-Szene der U.S.A.; der Titel erreichte Platz 2 R&B und Platz 6 POP (beide Chart-Listen werden jeweils mit ihren Positionen 1 bis 100 in der „Szene-Bibel“ Billboard-Magazine abgedruckt). Der Song erreichte ein ganz neues hippes Publikum und wurde als musikalische Warnung vor Drogen verstanden: „You‘re Million Miles Away From Reality ...“
Die Temptations wurden zur Kult-Gruppe einer neuen Generation von MOTOWN-Fans, die sehnsüchtig auf immer neue Psychedelic-Soul Veröffentlichungen wartete. Und ... sie wurde nicht enttäuscht! Eine schier unendliche Kette von Temptations- / Whitfield-Hits der Extra-Klasse trat ihren Siegeszug um die Welt an: Auf „Cloud Nine“ folgte „Runaway Child Running Wild“ (in der Album-Version 9:21 Minuten lang), „Don’t Let The Joneses Get You Down“, „I Can’t Get Next To You“, „Message From A Black Man“, „Slave“, „Psychedelic Shack“, „War“ (dies und nicht Edwin Starrs Version ist das Original!), „Ball Of Confusion“, „Smiling Faces Sometimes“ (auch letzteres die Original-Version und nicht die von Undisputed Truth).
Den Höhepunkt der Zusammenarbeit von Temptations-Whitfield stellen die beiden Alben 'All Directions' (mit dem Song-Überflieger 'Papa Was A Rollin' Stone', als 12:01 Minuten lange Album-Version) und 'Masterpiece' (Titelsong des Albums 13:49 Minuten lang + der Dance-Klassiker 'Law Of The Land') dar.
'All Directions' ist, ebenso wie einige andere Temptations-Alben, inzwischen als 24 Bit SHM-CD in Japan 2012 wieder veröffentlicht worden
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Zu Undisputed Truth:
Whitfield, dem von den Temptations nach dem Masterpiece-Album vorgeworfen wurde, die Gruppe zu „Norman Whitfield-Background-Singers“ degradiert zu haben (siehe meine Rezension 'The Temptations - Masterpiece'), kümmerte sich fortan verstärkt um „sein neues Baby“ - die absolut hippe Motown-Gruppe „Undisputed Truth“:
Zunächst als Trio, bestehend aus Billie Rae Calvin - Brenda Joyce Evans - Joe Harris, aktiv versorgte Norman Whitfield die Gruppe mit hoch-innovativen Sound-Ideen. Whitfield nannte später als „Vorbilder“ für seinen Sound u.a. ‚Sly & The Family Stone’ und George Clintons Gruppen ‚Parliament’ und ‚Funkadelic’.
In den USA hatte sich damals eine gesellschaftliche Stimmung - besonders unter der jungen Intelligenz - gebildet, die nach den Ermordungen von John F. Kennedy, Robert Kennedy, Dr. Martin Luther-King, den Protesten gegen den Vietnam-Krieg, der Gründung der Black Panthers Party und den gewalttätigen Unruhen in den Ghettos der afro-amerikanischen Community zu einem generellen Misstrauen gegen „die Herrschenden“ führte.
In diesen Kontext fügten sich die ‚Undisputed Truth’ Songs ‚Smiling Faces’ +++ ‚Ball Of Confusion’ +++ ‚Law Of The Land’ perfekt ein. Schon bald galten die Whitfield-Zöglinge als heiße Funk-Attraktion, deren Song-Texte das transportierten, was viele junge Leute bewegte, wenn sie auch nicht ganz so kommerziell erfolgreich waren, wie die Temptations, aber ihre Fangemeinde wuchs unaufhörlich.
Der hypnotische Gesangsstil, zusammen mit Motowns ‚Funk Brothers’, deren Mitglieder u.a. Eddie Willis, Pistol Allen, Earl Van Dyke und James Jamerson die innovativen Einfälle von Norman Whitfield kongenial umzusetzen verstanden, machte aus nahezu jedem Song der Gruppe ‚Undisputed Truth’ etwas besonderes und großartiges.
In der Zwischenzeit gab es personelle Veränderungen: Während Joe Harris in der Gruppe verblieb, verließen Billie Rae Calvin und Brenda Joyce Evans die Formation, deren neue Mitglieder Virginia McDonald, Tyrone Douglas, Tyrone Berkeley und Calvin Stephenson ‚Undisputed Truth’ auf fünf Personen anwachsen ließen;.
Die neuen ‚Undisputed Truth’ gingen nun immer häufiger mit kalk-weiß geschminkten Gesichtern, „Albino Afro-Perücken“ und futuristisch wirkenden Space-Outfits auf die Bühne. Letztendlich fügte Whitfield beim Album ‚Cosmic Truth’ auch noch Heavy Metal Elemente dem Funk-Soul Sound hinzu, um Fans auch aus anderen Musikrichtungen zu gewinnen.
Schließlich gründete Norman Whitfield sein eigenes Plattenlabel ‚Whitfield Records’ und verließ, zusammen mit der Gruppe ‚Undisputed Truth’, MOTOWN RECORDS.
Obwohl bei Whitfield Records noch zwei weitere Undisputed Truth Alben veröffentlicht wurden, hatte Whitfield bereits neue Prioritäten gesetzt: Mit der Formation ‚Rose Royce’ und dem Soundtrack-Album ‚Car Wash’ stieg er massiv in die aufkommende Disco-Mania ein. Sein Interesse am Psychedelic Funk erlahmte und ‚Undisputed Truth’ lösten sich 1981 auf.
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Zum Album ‚Smiling Faces: The Best Of Undisputed Truth’
Da die Original-Alben noch immer nicht komplett auf CD veröffentlicht wurden (Auflistung siehe unten)
Motown-Alben:
• 1971: The Undisputed Truth
• 1972: Face to Face With the Truth
• 1973: Law of the Land
• 1974: Down To Earth
• 1975: Cosmic Truth
• 1975: Higher Than High
Whitfield Record-Alben:
• 1976: Method To The Madness
• 1979: Smokin'
ist mir diese Best Of Koppelung derzeit eine besondere Empfehlung wert.
Musik-Auswahl:
Der, auf anderen CD-Compilations nicht enthaltene, Supertitel ‚Ball Of Confusion’ (ungekürzt 10:43 Minuten) ist zusammen mit ‚Smiling Faces’ +++ ‚Law Of The Land’ +++ ‚Papa Was A Rollin’ Stone’ +++ allein schon den Preis der CD wert. Doch auch die übrigen Titel sind durchweg Spitzenklasse.
Klangqualität:
Das Remastering von Suha Gur (Universal Mastering Studios East, New Jersey) ist fantastisch und übertrifft noch das von Bill Inglot (RHINO) bei der CD ‚Milestones - The Best Of The Undisputed Truth’ (Motown Masterseries 530 570-2) aus dem Jahr 1995.
Kaufempfehlung:
Diese geballte Ladung kreativer Brainpower von Whitfield / Undisputed Truth lohnt den Kauf unbedingt, ganz besonders jedoch solange die Original-Alben nicht auf CD veröffentlicht wurden.
Nachtrag:
Wer noch die alte CD ‚Best Of The Undisputed Truth’ (Motown MOTD-5489) besitzt, sollte sie jetzt gegen ‚Smiling Faces …’ austauschen, denn gegenüber dem damaligen Remastering von John Matousek, bietet sie geradezu einen „Quantensprung“ in Sachen Klangqualität.
Etwas anders verhält es sich dagegen mit der CD ‚Milestone …’, denn deren Klang ist auch heute noch durchaus akzeptabel und bietet außerdem einige Titel, die auf ‚Smiling Faces …’ nicht zu finden sind, nämlich: ‚I Heard It Through The Grapevine’ +++ ‚You Got The Love I Need’ +++ ‚Save My Love For A Rainy Day’ +++ ‚Superstar’ +++ ‚Mama I Gotta Brand New Thing’ +++ ‚If I Die’ +++ ‚Just You ‚N’ Me’ +++ ‚Big John Is My Name’ +++ ‚Spaces Out’ +++ ‚Higher Than High’ +++ ‚Overload’ - es lohnt sich also beide CDs zu besitzen, weil sie sich ganz gut ergänzen.