Ungekröntes Meisterwerk eines tragischen Helden der 60er Jahre
Ja, was soll man da sagen ? Voller Erwartungsfreude fiebert man dem grossen Tag entgegen: Gene Clark's Meisterstreich "No Other" wird noch einmal neu aufgelegt. Von den Herren Rhino's, den Re-Issue Spezialisten, die so gerne alte Platten mit Niegehörtem anreichern. Vielleicht kann ich dann ja endlich mal diese muffige, typisch germaneske Langeweile-Wiederveröffentlichung von "LINE" von 87 entsorgen ? Also Spannung pur, und dann der grosse Tag: Die CD trifft ein - schwupp in den Player und dann: Das grosse Erwachen mal in punkto Klangqualität. Ist das wirklich dieselbe Platte wie dieses mittenlastige, muffige Gewummer der originalen LP von 1974 ? Tatsächlich. Was für ein brillianter Sound!
Okay, bevor wir jetzt wieder die beliebte Schublade "Was-man-alles-im-digitalen-Zeitalter-aus-alten-Kamellen-herausholen-kann" öffnen, muss man doch erwähnen, dass die Produktion, für welche Thomas Jefferson Kaye verantwortlich zeichnete, über viele Zweifel erhaben war: A) Die Produktion war für damalige Verhältnisse enorm teuer - ständig wurde an der Platte weitergefeilt, B) Die Platte wurde von der Crème de la Crème eingespielt und C) Gespart wurde offenbar nur beim Mixing Engineer, der womöglich den Auftrag hatte, es solle alles "ein bisschen nach alten Byrds" klingen ???
Dabei hatte Gene Clark hier den eigentlichen Start einer Solo-Karriere NACH den Byrds anreissen wollen, was angesichts seines gesundheitlichen Allgemeinzustandes allerdings eher schwierig war. Seine Drogenkarriere spitzte sich zu und er war immer öfters so weggetreten, dass er längere Aus-Zeiten nehmen musste. Und das wiederum machte eine saubere Promotionsarbeit für's Album natürlich ungemein schwierig bis nahezu unmöglich.
Den Songs tat das allerdings keinen Abbruch - sie sind die grossartigsten, die Clark je geschrieben hat. Die Texte sind so entwaffnend ehrlich und ungefiltert ("Some Misunderstanding", "From a Silver Phial"), so mystisch und erhaben ("Silver Raven"), andererseits so unverkrampft und happy ("The True One") sowie zynisch-elegant ("Life's Greatest Fool"), dass es meiner Meinung nach nicht viele Alben in der Rockgeschichte gegeben hat, die über solche Grandezza verfügen.
Das Ganze dann auch noch von kompetenten Leuten - den Besten jener Aera möchte ich sagen - eingespielt. Süffig und von einer Leichtigkeit, wie man das bei zeitgleichen oder späteren Byrds-Platten nicht mehr zu hören bekam. Vielleicht lag's ja daran, dass Mister Clark oft so weggetreten war, dass er die musikalische Umsetzung den beteiligten Musikern überliess, welche dadurch in den Genuss jener Freiräume kamen, "No Other" akustisch optimal umzusetzen, wer weiss.
Jedenfalls ist es echt schade, dass Gene Clark's Drogensucht all seine Kreativität, seine Spiritualität und die Würde der geschriebenen Songs NACH "No Other" nach unten gerissen hat. Denn nach diesem phantastischen Album passierte erstmal lange gar nichts mehr, und erst, als er im Jahre 1991 endlich von seiner Sucht erlöst wurde, erschien ein weiteres Album von 1979 ein zweites Mal, auf welchem er noch einmal glänzen konnte. Allerdings war damals die Zeit klar gegen Byrds-Sound. Man frönte dem neuen Rave-Krach, die Charts waren gesplittet (Rock- und Country-Charts), und das grosse Songwriting des Herrn Clark passte in keine Schublade mehr und ging langsam aber sicher Hand in Hand mit seinem von Sucht zerfressenen Hirn den Bach hinunter. Tragischer Höhepunkt schon Jahre vorher: Sein müder Aufguss von "Mr. Tambourine Man" im Muzak-Stil, der dann 91 nach Clark's Tod auch noch einmal ausgegraben wurde.
Die Originalsongs auf der Rhino CD-Edition von "No Other":
1. Life's Greatest Fool
2. Silver Raven
3. No Other
4. Strength Of Strings
5. From A Silver Phial
6. Some Misunderstanding
7. The True One
8. Lady Of The North
Dazu ein Outtake, der diese Bezeichnung gar nicht verdient:
9. Train Leaves Here This Morning
plus die meisten Songs des Albums noch einmal - definiert als "Alternative Demo Versionen", was meiner Meinung nach absoluter Quatsch ist. Denn alternative Demo-Versionen bedeuten für mich jeweils so etwas wie: "Wir hauen alles noch so bescheuert klingende Gedöns auf die Re-Issue, damit die Hörer meinen, sie kriegen was ge*** obendrauf, dabei ist's nur Bullshit aus den verstaubten Archiven in miserabler Klangqualität". In Wahrheit handelt es sich bei diesen Takes wohl um eine Pre-Production des Albums - in akustisch sehr zurückhaltender Art eingespielt. Da offenbart sich erst die Qualität der Songs: Reduziert auf akustische Gitarre die manchmal bewegende Brüchigkeit von Clark's Stimme! Das sind diese "magic moments" im Leben eines Musikers, wenn er ungefiltert und in der ursprünglichsten Art seine Ideen auf intimste Weise seinem Instrument anvertraut. Diese Akustikversionen erzeugen pure Gänsehaut und lassen fast körperlich spüren, wie Gene Clark damals drauf gewesen sein muss. Alleine diese Tracks 10 bis 15 sind den Kauf wert.
10. Life’s Greatest Fool
11. Silver Raven
12. No Other
13. From A Silver Phial
14. Some Mistunderstanding
15. Lady Of The North
Fazit: Obschon ich persönlich die Scheibe seit dem ersten Anhören im Jahre 74 zu den besten Platten aller Zeiten zähle bin ich überrascht, wie unglaublich zeitlos diese Songs hier immer noch sind. Da hat nirgends Staub angesetzt, das sind noch immer Perlen, die auch heute noch der Songschreiberzunft als Vorlage dienen können - besser kann man's nicht machen! Dazu diese frappante Steigerung der Soundqualität verglichen mit der Original-LP.
Ausserdem bestätigen die mitgelieferten akustischen Versionen , dass Mr. Clark's "No Other" eine Platte war, die "way ahead of it's time" gewesen ist. Das hört man erst heute wieder. Quasi "unplugged twenty years before Nirvana".
Diese Platte sollte echt in keiner Sammlung fehlen, vor allem aber diese neue, tolle Rhino-Edition nicht.