Ein Beethoven ohne Sinn und Verstand
Was soll man über einen solchen Zyklus eigentlich schreiben, bei dem mir schon beim Anhören die Haare zu Berge standen und ich mich zwingen musste, mir wirklich alle neun Sinfonien vom ersten bis zum letzten Ton anzutun? Es ist einfach erschreckend, was hier abgeliefert wurde. Die Beethoven-Aufnahmen, die Christian Thielemann, die Wiener Philharmoniker und Sony hier vorlegen, sind eine Frechheit, ein dirigentischer Offenbarungseid. Man kann sie nicht anders als unterirdisch, katastrophal und grauenhaft bezeichnen.
Wenn dann auch noch von „Fachleuten“ geschrieben wird, Thielemanns Beethoven „überrage alle anderen“, dann fragt man sich wirklich, ob sich diese Musikkritiker und –journalisten jemals diese Einspielungen überhaupt richtig angehört haben. Oder wollten sie es sich mit Thielemann und den Wienern nicht verderben und ihnen bei der Vermarktung dieser grottenschlechten Produktion behilflich sein? Oder wussten sie es tatsächlich nicht besser? Dann wirft das aber kein gutes Licht auf ihren Fach- und Sachverstand.
Klangbild:
Was waren da eigentlich für Tontechniker am Werk? Und wie viele Mikrofone wurden überhaupt eingesetzt? Das Klangbild kennt jedenfalls im Wesentlichen nur zwei Extreme: sehr laut und fast unhörbare leise. Wollte man den Lautstärke-Pegel seiner Stereoanlage so aufdrehen, dass die leisen Stellen einigermaßen gut hörbar sind, so würden die Nachbarn bei den lauten Abschnitten wohl regelmäßig die Polizei wegen Ruhestörung rufen.
Das Klangbild kommt reichlich undifferenziert, pauschal, schwammig und wenig gestaffelt daher. Bei den lauten Stellen hat man das Gefühl, zwei oder drei Mikrofone hängen direkt über dem Orchester. Alles verschmilzt zu einem mehr oder weniger lärmend-rumpelnden klanglichen Einheitsbrei, bei dem öfters ganze Stimmgruppen völlig untergehen (Streicherfiguren, (Holz-)Bläser) oder so unnatürlich (Holzbläser) hervortreten, als ob man sie nachträglich noch einmal drübergespielt hat.
Bei den (sehr) leisen Abschnitten stellt sich der Eindruck ein, die zwei oder drei Mikrofone sind jetzt Hunderte Meter weit weg vom Orchester aufgestellt. Das klingt dann so, als ob man seinem Nachbarn durch eine dicke Wand beim Plattenhören lauschen würde. Alles hört sich noch diffuser an und führt teilweise dazu, dass begleitende Pizzicati der Streicher stärker wahrnehmbar sind als beispielsweise die melodieführenden Holzbläser, die im Hintergrund aus weiter Ferne ihre Stimmen vor sich hin murmeln.
Dirigent / Interpretation:
Vielleicht muss man die Tontechnik aber auch ein bisschen in Schutz nehmen. Was nützen die besten Aufnahmetechniker, wenn der Dirigent offenbar überhaupt keinen Zugang zur Musik findet und auch keine Vorstellung davon hat, wie sie klingen soll.
Beethoven als vollendeter Meister, als Höhepunkt der klassizistischen Sinfonik, der streng durchkomponierten Form soll allen Ernstes „Stimmungen“ komponiert haben? Die einzige „Stimmung“, die bei mir während des Anhörens mehr und mehr aufkam, war eine zunehmende Verärgerung über so viel Schlamperei und klangliche Unausgewogenheit.
Thielemann kann weder etwas mit der strengen sinfonischen Form noch mit dem meist kleinteiligen Rhythmus, der ein Kernelement der Beethovenschen Musik ist, etwas anfangen. In vielen Durchführungsteilen der Sätze, in denen die Themen auseinandergenommen und verarbeitet werden, bricht jedesmal das Chaos aus, weil Thielemann die thematischen und motivischen Verläufe nicht nachzeichnen kann. Was sind Haupt-, Neben- bzw. Begleitstimmen? Wer ist melodieführend? Wer spielt lediglich Umspielungen oder Begleitfiguren? Alle Instrumentengruppen klingen irgendwie gleich laut und spielen zusammenhang- und beziehungslos neben-, über- oder untereinander her. Insbesondere die (Holz-)Bläser wirken an vielen Stellen überhaupt nicht koordiniert.
Rhythmische Begleitfiguren (etwa der Streicher) sind teilweise kaum wahrnehmbar (z.B. in den meist schleppend und zäh musizierten langsamen Sätzen) oder werden von Thielemann so verwischt und weichgespült, dass sie im musikalischen Kontext einfach zahnlos wirken. Andererseits wirkt der Rhythmus in den lauten Passagen meist grobschlächtig, plakativ und polternd, was eher an derbe Bauerntänze auf einem dörflichen Tanzboden als an klassizistische Sinfonik denken lässt.
Zu einer dynamischen Differenzierung bzw. Abstufung ist Thielemann kaum in der Lage. Im lauten Bereich hat man Mühe, zwischen Sforzati, Forte und Fortissimo zu unterscheiden. Im leisen Bereich plätschert alles ebenfalls in einer Einheits-Leisestärke vor sich hin. Daneben kommt es in vielen Sätzen zu Temposchwankungen. Immer wieder bremst Thielemann das Orchester aus (z.B. vor lauten Höhepunkten), um es dann wieder zu beschleunigen. All das stört den musikalischen Fluss.
Orchester:
Spielen da wirklich die Wiener Philharmoniker, angeblich eines der besten Orchester der Welt? Man mag es kaum glauben und denkt unwillkürlich eher an die Kurkapelle von Bad Gastein oder irgendein österreichisches Laienorchester, das sich gerade an Beethoven versucht.
Die Wiener wirken unsauber im Zusammenspiel (z.B. Bläser) und völlig uninspiriert in der musikalischen (melodischen) Gestaltung. Eigentlich müsste das Orchester doch „seinen“ Beethoven in- und auswendig kennen. Doch merkwürdige Phrasierungen, verschluckte Phrasenenden oder seltsam beziehungslos nebeneinanderher gurgelnde Holzbläser lassen eher vermuten, dass man diese Musik zum ersten Mal spielt. Oder hat man etwa zu wenig geprobt?
Mein Fazit:
Ein Beethoven zum Weghören! Null Sterne wären wohl angebrachter als der eine. Ohne alle Beethoven-Gesamtaufnahmen zu kennen, wage ich einfach die Behauptung, dass sich wohl schwerlich eine Einspielung mit einem einigermaßen ordentlichen Orchester und einem soliden Dirigenten finden lassen wird, die diese Thielemann-Aufnahmen in puncto schlechtem Klangbild, schlampiger Ausführung und konfuser Interpretation noch unterbieten könnte.