Das ganze Programm...
Amelie Fried neueste Schöpfung hat mich doch sehr nachdenklich gestimmt, u.a. weil es mich mit der eigenen Herkunft ("Kleinstbürgertum") konfrontierte, mit aktuellen Familienverhältnissen bzw. -geschichten, mit Unausgesprochenem, eben Tradiertem, mit Verdrängtem, mit Vertrauen, Nähe, Distanz, Enttäuschungen und Perspektivwechseln (mein Sehen und mein Blick mit anderen Augen). Also: das ganze Programm. Natürlich ahnt der Leser die "Handlungsstränge" und vorab: ich hätte mir zum Schluss ein bisschen mehr "Überraschenderes" gewünscht; obwohl, ein "Open End" ist ja immer gut: so läuft der Film im Kopf einfach weiter, denn: wird der "Pakt" des Musiklehrers Indias Leben begleiten bzw. bestimmen? Man ahnt, die Wunde wird (aus)heilen. Indias Familiengeschichte ist sicher auch auf heute übertragbar, nur das "Orange" müsste eine andere Farbe erhalten! Die Gleichung "Mathematik = Musik" gefällt mir besonders! Extra-Klasse: den Provinz-Bagwan schwäbeln zu lassen (und so schön [Augen, Körper] wie Jesus darzutellen). Vielleicht nicht neu, dennoch wunderbar: Bilder zu Tönen, wie auch die Idee, India als hochbegabt zu präsentieren (so läuft die Autorin nicht Gefahr, möglicherweise in Erklärungsnot zu geraten). Der innere Konflikt, das Geheimnis öffentlich zu machen, ist zeitlos, wie auch die Reaktionen des direkten Umfeldes! Aber, keine Frage, India und Bruder Che wissen, dass ihre Eltern sie lieben - allen Missverständnissen, alle Widerständen, allen Umständen zum Trotz. Wie auch immer: schreiben, erzählen kann Amelie Fried ja eh. Die Perspektiverweiterung - von der ich-erzählenden Gegenwart zur zurückblickenden Perspektive - erfolgt unmerklich, genial! Fazit: ein stimmiger Roman, der nachhaltig Fragen aufwirft und mich jetzt schon eine Nacht und einen Vormittag begleitet. Danke, Amelie Fried!