Spiel mir das Lied vom Schlaf
Natürlich kreiert Ennio Morricone eine außergewöhnlich spannende, abgründig-düstere Atmosphäre. Selbstverständlich liefert das große Orchester tolle, interessante Klangfarben und Soundeffekte. Geschenkt. Leider höre ich aber in der Musik überhaupt keine Spur von Western, auch nicht von Tarantinos grotesker Geschichte und seinen schrägen Charakteren, nicht mal Ennio Morricone höre ich. Ich höre eine ziemlich durchschnittliche Adventure-/Thrillermusik, die man völlig ohne Änderungen auch für "Der Herr der Ringe" oder "Der weiße Hai 8" verwenden könnte.
Was aber noch schlimmer ist: ich habe das Gefühl, dass dem Maestro nicht besonders viel eingefallen ist. Eigentlich hört man in endlosen Variationen immer nur zwei kurze Figuren, die man noch nicht einmal als "Thema" bezeichnen kann, nämlich "L'ultima Diligenza di Red Rock" ("Die letzte Kutsche von Red Rock") und "Neve" ("Schnee"). Darüber hinaus gibt es kaum nennenswerte musikalische Einfälle, jedenfalls kein großes episches Morricone-Thema, das im Gedächtnis bleiben würde. Und das war ja immer das Faszinierende an Morricone: seine schier unglaubliche melodische Eloquenz und seine großartige Fähigkeit, über die bloße Atmosphäre hinaus Musik in seinem unverkennbaren Stil zu kreieren, die man sich auch unabhängig vom Film wieder und wieder anhören konnte.
Was bei den Western von Sergio Leone noch hinzukam: Morricone schaffte es, das Groteske, das den Geschichten von Gewalt und Gier innewohnte, in der Musik hörbar zu machen (vor allem in "The Good, the Bad and the Ugly"). Man könnte sagen: durch die bloße Erzeugung von finsterer Spannung nimmt Morricone Tarantinos Film viel zu ernst, denn das Groteske, Überdrehte, das in der Geschichte und den Figuren angelegt ist, wird leider in der Musik überhaupt nicht hörbar. Auch den Schnee und die Kälte hat Morricone meinem Empfinden nach schon viel besser musikalisch verarbeitet, nämlich in Sergio Corbuccis "Il grande Silenzio" ("Leichen pflastern seinen Weg"). Selbstverständlich ist das alles lange her, mit 87 kann man sich nicht mehr neu erfinden, und Morricone wollte wahrscheinlich auch vermeiden, sich selbst zu wiederholen. Trotzdem zählt ja das Ergebnis, und leider muss ich, wie bereits erwähnt, sagen, dass nicht wirklich eine Musik zum Hören entstanden ist.
Was die CD noch schwieriger macht, sind zum einen die Dialog-Ausschnitte, zum anderen die Pop-Songs. Die Dialoge kann man ja gerade noch durchgehen lassen: das hat Tarantino immer so gemacht, und irgendwie schafft es ja auch die nötige Film-Atmosphäre. Was ich aber völlig unmöglich finde: den Maestro mit schnöden Pop-Songs zu unterbrechen. Das stört den Musikfluss doch empfindlich.
Fazit: es klingt nicht wirklich wie Morricone, den Oscar finde ich leicht übertrieben, und die Soundtrack-CD (oder gar das Doppel-Vinyl) wird spätestens dann vollkommen überflüssig, wenn der Film auf DVD und Blu-ray erscheint.