Ein wahres Geschenk an den Leser!
Wie beschreibt man ein Buch, das sich jedem gewohnten Leseschema entzieht?
Das Vorwort von Roger Willemsen ist sicherlich eine Wonne für jeden Wortliebhaber, eine fulminante Hymne, gewaltig und erschöpfend.
Aber keine Angst:
wer es weniger ausladend möchte (aber keinesfalls von der Sache her einfach oder vereinfachend), für den hat Raul Krauthausen den richtigen Schreibstil.
Schlicht, schnörkellos und geradlinig ist sein Stil, vielleicht vergleichbar mit Mark Twain, der auch humorvoll auf den Punkt kam und den Leser auch dahin brachte.
Das Buch beschreibt Episoden aus Rauls Leben, wobei er einem keine Gedanken und Gefühle verschweigt, stellenweise sehr intim (auf geistige Art), aber ohne gefühlsduselig zu werden. Er zeigt Schritt für Schritt wie und warum er der Mann wurde, der er heute ist, und welche Ereignisse ihn von außen formten, und welche Entschlüsse von innen. Wie er kein "Berufsbehinderter" werden wollte, und dies heute auch nicht ist: ja, er ist Aushängeschild und Mediengesicht vieler Aktionen, aber dies zu mindestens 90% alleine aufgrund seiner außerordentlichen Qualifikationen. (Die restlichen 10% entspringen dem Wiedererkennungseffekt, wie Sascha Lobos Hahnenkamm)
Der Untertitel lautet "Ein Leben aus der Rollstuhlperspektive", und darauf hab ich lange gewartet, bzw. danach habe ich beim Lesen lange gesucht. Klar, er erklärt viel zu seiner Assistenz und bringt auch die nötige Betreuung in aller Deutlichkeit zur Sprache. Trotzdem empfindet man das nicht als "der Behinderte braucht Pflege", es ist einfach ein "aufgrund äußerer Umstände brauche ich da jetzt Hilfe", und das ist der Unterschied.
Nachdem ich fast das ganze Buch durch vergeblich nach der Rollstuhlperspektive gesucht hab, hab ich da erst gemerkt:
DAS IST DIE ROLLSTUHLPERSPEKTIVE!
Der Rollstuhl ist kein Kennzeichen einer Behinderung, das derjenige vor sich her trägt, nein, das Ding ist HINTER einem und sorgt dafür, dass man sich freier bewegen kann. Ein verdammt nützliches Hilsmittel, und nichts, über das man sich definiert!
Ich habe mich immer für (relativ) Vorurteilsfrei gehalten, und habe auch immer zustimmend genickt, wenn ein Rollstuhlfahrer schrieb, er wäre nicht an den Rollstuhl gefesselt, sondern der Stuhl würde Freiheit bedeuten und wäre ansonsten unwichtig, aber jetzt hab ich es zum ersten Mal richtig verstanden, bzw. miterlebt, durch Rauls Augen.
Und wer immer noch von ihm als "dem armen kleinen Behinderten" denkt:
hey, der Typ ist direkt mit 18 in eine WG gezogen und hatte verd**** noch eine mehr Sozialkontakte und Freunde als ich!
Danke, Raul Krauthausen, für dieses Buch!