Brillianter Roman aus dem heutigen Indien
Der neunjährige Jai lebt, zusammen mit seinen Eltern und seiner großen Schwester Runu, in einem Elendsviertel am Rande einer nordindischen Stadt. Während seine Familie nur eine illegale Hütte mit einem Raum und einem Bett bewohnt, Wasser von einem Wasserhahn mitten im Basti geholt werden muss, die Familie selbst zum Waschen (mit kaltem Wasser!) und zum Toilettengang anstehen muss und meist nur Geld für täglichen Reis mit Linsen da ist, sind die Hochhäuser der oberen Mittelschicht in Sichtweite. Als der gleichaltrige Bahadur verschwindet, ernennt Jai, der großer Liebhaber von Fernsehserien wie "Police Patrol" ist, sich zum Detektiv und beginnt mit seinen Freunden Pari und Faiz zu ermitteln. Verbotenerweise streunen die Kinder durch den Bhoot-Basar mit seinen vielfältigen Geschäften. Doch immer mehr Kinder verschwinden, und trotz immer größer werdender Ausflüge beginnt den Kindern die SAche über den Kopf zu wachsen - während die Polizei untätig bleibt ...
Deepa Anappara, aufgewachsen in Indien, und als Journalistin intensiv mit dem Leben der Armenkinder auseinandergesetzt, ist mit ihrem Debütroman ein brillianter Roman aus dem heutigen Indien gelungen, der den Leser tief in seinen Bann zieht.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des neunjährigen Jais, der unaufgeregt und eben aus der Sichtweise eines Kindes erzählt. Voller Details wirkt sein Bericht absolut authentisch und vermittelt einen tiefen Blick in den Alltag, das Alltagsleben und das Verschwinden der Kinder; meiner Meinung nach viel berührender, als ein auktoriale Erzählperspektive es erreichen könnte.Durch die Sprache, die insgesamt, neben den indischen Eigennamen, sehr viele indische Wörter (die in einem Glossar am Ende des Buches übersetzt bzw. erklärt werden), wird die Authentizität verstärkt. Ergänzt wird Jais Sicht durch kurze Einschübe eines personalen Erzählers über die letzten Erlebnisse der Verschwundenen und Mythen und Legenden, die den Kindern Hoffnung verleihen sollen. Bei aller Schwere der Themen beherrscht die Autorin eine hervorragende Erzählkunst, die die Dramatik abfedert, ohne sie vergessen zu machen.
Die Figuren sind perfekt ausgearbeitet, mehrdimensional und werden sofort zum Leben erweckt. Noch mehr als der Erzähler Jai selbst ist mir seine patente, kluge Freundin Pari ans Herz gewachsen, die intelligent und strebsam ihren Weg geht. Interessanterweise schreibt Anappara insgesamt sehr viel von starken Frauen, die häufig den Männern überlegen sind.
Auch, wenn der Titel des Buches, das Verschwinden der Kinder und die Detektivarbeit der Kinder vielleicht anderes vermuten lassen, handelt es sich bei "Die Detektive vom Bhoot-Basar" keinesfalls um einen Krimi, denn die Aufklärung spielt eine eher untergeordnete Rolle und die Spannung ist nur eingeschränkt vorhanden. Dagegen vielmehr im Vordergrund steht die Erzählung von dem wahren Leben im heutigen Indien, seinen Widersprüchen, den sozialen und religiösen Spannungen zwischen Hindus und Moslems, Korruption und Ungerechtigkeiten, aber auch von der Freundschaft der Kinder, ihrer Fantasie und ihrer Unschuld. Wenn die Autorin im Nachwort kundtut, dass es ihr ein großes Bedürfnis war zu zeigen, dass auch oder gerade diese Elends-Kinder frech, witzig, selbstbewusst und voller Energie und Träume sind, so ist dieses ihr großartig gelungen.
So darf der Leser auch nicht mit einer vollumfänglichen Aufklärung des Verschwindens der Kinder und Verurteilung der Täter rechnen. Das Ende, das ich als einzig richtiges empfunden habe, und das mich voller tiefer Gefühle und Gedanken zurücklässt, ist ein offenes - wie eben auch die Zukunft der Kinder und des Bastis.
Für mich ist dieses Buch ein wahres Highlight, das ich jedem Leser ans Herz legen möchte - und es lässt mich in Demut zurück und dem Gefühl, in einem Paradies leben zu dürfen!