Die Indie Helden des Freistaates
Aus dem Süden Deutschlands, genauer gesagt aus Ingolstadt, kommt eine kleine feine Indie-Band namens Slut – und die bringt jetzt mit Alienation ihr siebtes Studioalbum unters Volk. Zwischenzeitlich gab es sogar noch vier EPs und die „Schallnovelle“ Corpus Delicti, die in Zusammenarbeit mit der Autorin Juli Zeh entstand und 7 Songs beinhaltete.
Gegründet wurde die Band 1994, und seitdem spielen sie immer noch in der gleichen Besetzung: Christian Neuburger singt und spielt Gitarre, Rainer Schaller fungiert als zweiter Gitarrist, Rainer Schaller spielt Bass und Matthias Neuburger Schlagzeug. Es ist heutzutage schon selten, dass eine Band über so eine lange Zeit in der gleichen Besetzung zusammen spielt. Bei vielen Bands dreht das Musikerkarussell leider viel zu schnell. Ein großer Vorteil, wenn man so lange zusammen agiert, ist, dass man sich gut kennt und aufeinander eingespielt ist. Anderseits besteht die Gefahr, dass zu viel Routine ins Spiel kommt und es dann an neuen Ideen mangelt.Slut waren anfangs eher eine gitarrenorientierte Rockband, die aber auch schon elektronische Elemente in ihre Musik einfügte, somit wurden sie im Laufe der Zeit immer experimentierfreudiger.
Fünf Jahre nach dem letzten Album „StillNo1“ aus dem Jahre 2008 sind sie nun wieder zurück. „StillNo1“ war damals nicht gerade gut von den Kritikern aufgenommen worden, und dem kann ich leider nur zustimmen. Es war kein richtig schlechtes Album, aber im Vergleich zu den vorherigen dennoch ein kleiner Dämpfer. Die Melodien fehlten einfach und es schien insgesamt etwas ziellos. Ihr bestes Album, meiner Meinung nach, ist „Lookbook“ aus dem Jahre 2001, mit dem Überlied „The day it rained forever“.
Nun aber zu ihrem aktuellen Werk Alienation. Um gleich mal eines vorwegzunehmen – es ist wieder besser geraten als ihr letztes und mit dem Lied „The next big thing“ gibt‘s auch gleich den Nachfolger von „The day it rained forever“. Doch ist genau dieses Stück auch so etwas wie ein Exot, eben weil es eingängig ist und das Potenzial zu einem Hit hat – was man vom Rest der Scheibe nicht unbedingt behaupten kann. Was nicht heißen muss, dass es ein schlechtes Album ist – nein, bei Weitem nicht – , aber es ist doch schon angeraten, dass der Hörer eine Portion Geduld mitbringt. Man muss sich in diese Musik einarbeiten – und nur mit der Zeit zündet das Album langsam aber sicher.
Eins ist klar: Elektronika dominiert hier und die Gitarren rücken im Vergleich zu den vorherigen Veröffentlichungen etwas in den Hintergrund. Das Aushängeschild und der stärkste Punkt der Band ist aber noch immer die Stimme von Sänger Christian Neuburger. Irgendwie erinnert sie mich ein wenig an die von Brian Molko von Placebo. Es liegt die gleiche melancholische Grundstimmung im Gesang. Ja, überhaupt erinnert das ganze Album etwas an Placebo, ohne dass es jetzt eine regelrechte Kopie geworden wäre. Aber steigen wir jetzt mal ins Album ein.
Der Opener „Anybody have a roadmap“ begrüßt uns mit leichten Keyboardklängen, das hat fast schon eine leichte sommerlich-jamaikanische Atmosphäre, und dann kommt auch schon die melancholische Stimme von Christian Neuburger – sie strahlt die nötige Wärme aus, kontrastierend zum sonst eher kühlen Sound. Dann plötzlich setzt die Gitarre ein und es wird bedrohlicher, bevor sehr schnell wieder diese Leichtigkeit einsetzt – um sofort wieder von den dunklen Gitarre abgelöst zu werden, mit kräftiger Unterstützung des Schlagzeugs. Das Lied türmt sich hier wahrhaft auf, auch wegen des immer lauter werdenden Gesangs. Der fast schon hypnotisch wirkende Refrain bildet dazu einen ruhigen Gegenpol. Ein Einstieg nach Mass.
Jetzt kommt auch schon der Hit „The next big thing“. Ein Song, der einen einfach nicht mehr loslässt, und als würde es der Sänger ahnen, beginnt er mit den Worten „I got a feeling“. Vielleicht das Gefühl, dass dieses Lied einem noch lange im Kopf herumschwirren wird? Es hat einfach alles, ein sich auftürmenden Sound gepaart mit Tempowechseln, und genau hier kommen sie dem Vergleich mit Placebo auch am nähesten. Danach wird das Album immer stärker durch Elektronika dominiert. Vielleicht liegt hier auch der einzige Schwachpunkt. Ein wenig mehr Gitarren und ein kräftigerer Schlagzeugsound hätten dem Ganzen gut getan, aber wir meckeren hier auch schon auf hohem Niveau.
Die nächsten drei Stücke „"Broke my Back“, „All show“ und „Alienation“ haben ziemlich ähnliche Merkmale. Eine elektronisch dominierte Atmosphäre, kombinert mit dunkler Grundstimmung und melancholischem Gesang. Erst mit „Silk Road Blues“ kommt es zu einer Abwechslung. Es ist zwar Blues im Titel, aber Slut entführen uns hier eher in den Orient, begleitet mit der passenden Sitar. Bei „Remote Control“ stellt sich dann ein The-Cure/New-Order-Feeling ein, weil der Basslauf wie ein Hybrid von Simon Gallup (The Cure) und Peter Hook (Joy Division/New Order) klingt.
Jetzt, wo sich das Album sich dem Ende zuneigt, wird nochmal aus den Vollen geschöpft: „Deadlock“ ist mit Drum and Bass unterlegt, „Idiot Dancers“" geht eher in poppige Gefilde, wobei man auch sagen muss, dass es das wohl schwächste Stück der Platte ist. „Nervous Kind“ hat seinen Namen nicht gestohlen, hier geht es tatsächlich zu wie auf einer Achterbahn, es wird richtig durch das Lied gehetzt, bis zum fast schon symphonischen Ende. „Never say nothing“ ist dann einer meiner Favoriten, wieder mit diesem The-Cure/New-Order-Basslauf unterlegt, aber im Gegensatz zu „Idiot Dancers“ haben sie es diesmal besser hinbekommen.
Beim Abschlusslied „Holy End“ wird es dann sehr sparsam. In der Tat hätten ein oder zwei solcher Stücke mehr dem Album ganz gut getan. Ein Piano, die diesmal eher gebrochen wirkende Stimme des Sängers und ein engelartiger Chor im Hintergrund – mehr muss manchmal gar nicht sein. Am Ende des Albums angekommen, fragt man sich, warum es nicht mehr solcher Bands gibt, die zwanglos und ohne großes Schielen auf den kommerziellen Erfolg Musik machen. Alienation ist ein grundsolides, gutes Album – eingespielt von vier Freunden, denen man die Freude am Musikmachen noch anhört, auch nach all den Jahren noch.