Muskelschwund
Das Artemis erfreut sich einer außerordentlichen Beliebtheit und hat in den letzten Jahren erstaunlich reussiert. Der Beethoven-Zyklus dieses Quartetts stand daher vielfach im Blickpunkt kritischer Augen und Ohren. Auffällig ist dabei besonders, dass die Metapher des "muskulösen" Spiels gerne benutzt wird. Nun zeichnen sich die Musiker, trotz wechselnder Besetzung, nicht durch strammen Bizeps, sehr wohl aber durch ein sehr zugreifendes Spiel aus. Interessant ist, dass der Eindruck des Muskulösen vielfach wahrgenommen wird, und durchaus als Zugriff auf diese Musik hörbar ist. Aber fraglich ist doch, ob es ein sinnvolles Konzept ist, sich diesen (!) sechzehn Quartetten so anzunehmen. Es handelt sich dabei nun weder um ein theoretisch fundiertes intellektuelles Konzept, noch um ein (quasi unintellektuell) musikantisches. Beide Konzepte haben und hätten ihre Berechtigung, im Idealfall paarten sich beide.
Das Artemis-Quartett spielt einen Beethoven, der unerträglich undifferenziert ist. In der Tat wird es zu einem wahren Ärgernis, sich durch die Quartette zu hören, weil keine Besserung in Sicht ist. Nicht umsonst spricht man von Phrasierungskunst, von der hier leider gar keine Rede sein kein. Alleine die in den Quartetten so häufigen Sforzati und Fortepiani sind so langweilig gestaltet, dass es einem öde wird. Themen, Motive, Cantilenen -- nichts davon wird mehr als nur notentreu gespielt. Geatmete und gelebte Passagen sind viel zu selten. Mitunter wird dieser Eindruck durch eine abträgliche Tempowahl verstärkt, die leider in manchem langsamen Satz nicht nachvollzogen werden kann und der Kohäsion abträglich ist. Wird das Tempo von (zu) langsam bis überschnell gewählt, ist das Tableau der Dynamik seltsam schmal geraten. Es kann der Eindruck nicht geleugnet werden, als hätte dieses Quartett eine Abneigung gegen p, pp und ppp. Mezzoforte dominiert das Spiel, das stets nach Forteausbrüchen giert, die aber in einem zu lauten Umfeld immer übertrieben werden müssen, um zu wirken. Gleichsam eng ist das klangliche Spektrum. Es ist zu bedauern, dass gerade ein Streichquartett so immer gleich klingt. Das, was Streichinstrumente können, das so weit auszulotende Klangbild, ist hier ein assimilierter Einheitsklang, dass man auch Klaviere nehmen könnte. Nichts wird verschattet, nichts blüht auf, kein Kratzen, kein Strahlen. Da nehmen sich die Instrumentalisten leider (die Wechsel an den Pulten berücksichtigt) wenig. Prischepenkos Ton ist hart und wenig modulationsfähig. Gregor Sigl spielt hier doch wärmer und beseelter. Friedemann Weigles Bratsche klingt zu unbeteiligt und kaum einmal glühend. Schlimm ist jedoch Eckart Runges Cellospiel, das schlicht furchtbar ist. Ein großer, halliger Ton, der jedes Cliché des Cellospiels bedient, vibratoselig mit einem dumpfen Bass und fiependen hohen Lagen.
Leider bietet das Artemis-Quartett keinen intellektuellen Ansatz. Aber auch keinen, den man als musikantisch oder spielmännisch bezeichnen könnte. So adrett die Photos auf den Cover sind, so elegant die Dame und die Herren auf der Homepage auch erscheinen, nichts davon findet sich in ihrem Spiel. Es ist mittelmäßiges Spiel ohne jedwede Rafinesse, dem weniger Muskulatur und mehr Beweglichkeit gutgetan hätte.