Anfangs katastophal (kitschig, zu viel Diskriminierung), später mitreißend & emotional
„Aber nur zu oft ist es eine kleine; schicksalhafte Wendung, die unser Leben von Grund auf ändert (…).“
INHALT:
Die 17-jährige Victoria lebt mit ihrem Vater, dem Bruder und dem Onkel in der Kleinstadt Iola in Colorado auf einer abgeschiedenen Pfirsichfarm am Gunnison River.
Mit nur 12 Jahren verlor sie ihre Mutter.
„Nach Mutters Tod erwarteten die Männer von mir, dass ich geräuschlos ihre Rolle übernahm (…).“ Sie kümmert sich um den Haushalt, um die Tiere und Ställe und hilft bei der Ernte und dem Verkauf der Pfirsiche mit.
Als sie eines Tages Wil Moon begegnet, der bis vor Kurzem in den Kohlebergwerken gearbeitet hat, ist es plötzlich um sie geschehen!
„Niemand hatte mich jemals über die Sache mit der Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern aufgeklärt. Als meine Mutter starb, war ich noch zu jung, um diese Geheimnisse von ihr lernen zu können, und ich kann mir eigentlich sowieso nicht vorstellen, dass sie sie mit mir geteilt hätte.“
Victoria stellt sich das Leben als „Vagabund“ spannend vor:
„Er würde mir beibringen, wie wahrhaftig sich ein Leben anfühlen konnte, das aufs Wesentliche reduziert worden war, und wenn man erst mal diesen Punkt erreicht hatte, war im Grunde nichts mehr wichtig, außer der Entschlossenheit weiterzuleben.“
Doch Wil ist in der Gegend aufgrund seiner indigenen Herkunft nicht gerne gesehen.
Und bald fühlt sich Victoria gezwungen, ihr bisheriges Leben aufzugeben und mit ihrem ungeborenen Kind in den Wald zu flüchten.
Sie ahnt nicht, dass der Fluss bald die Existenz ihrer Familie bedrohen könnte …
MEINUNG:
Ich muss leider zugeben, dass ich das Buch anfangs am liebsten abgebrochen und in die nächste Ecke gepfeffert hätte.
Das lag einmal daran, dass ich die anbahnende Liebesgeschichte zwischen Victoria und Wil als viel zu schnell verlaufend, nicht authentisch genug und als zu kitschig empfunden habe. Dass sich die Protagonistin direkt den Knöchel verstauchen muss und von ihrem Prinzen, dem sie zum ersten Mal begegnet ist, nach Hause getragen wird, hat mich dabei alles andere als besänftigt.
Der andere Punkt war die Diskriminierung unterschiedlichster Art, vor allem im Anfang des Buches.
Wil ist indigener Abstammung und außer Victoria mag ihn niemand leiden. Im Gegenteil – er erfährt Rassismus von schrecklichstem Ausmaß. Leider wird dabei soooo oft das I-Wort verwendet, ohne Sternchen oder einer Anmerkung im Buch bzgl. des historischen Kontexts, dass es mich richtig gestört hat. Ich habe mich immer unwohler damit gefühlt. Auch wurde das Thema später nicht mehr weiter vertieft.
Des Weiteren enthält das Buch anfangs Szenen mit Ableismus. Der Onkel, der im Rollstuhl sitzt, bekommt unschöne Ausdrücke an den Kopf geworfen. Kann man in ein Buch einbinden, ja, denn es gibt leider Menschen, die sich so abwertend verhalten.
Aber mir war das insgesamt zu viel der Diskriminierung.
Zudem fand ich eine Stelle sehr unpassend formuliert. Denn ein Mensch mit Behinderung ist meiner Meinung nach nicht (wie auf S. 79 beschrieben) „in den engen Grenzen eines Rollstuhls gefangen“ und auch nicht an ihn gefesselt! Der Rollstuhl stellt ein positives Hilfsmittel dar und ermöglicht mehr Selbständigkeit, Erleichterung & Teilhabe im Alltag!
Sensitivity Reader hätten das vermutlich vor dem Erscheinen des Buches erkannt.
Ich hatte danach erst mal eine kleine Leseflaute …
Es hat leider ganze 130 Seiten gedauert, bis das Buch doch noch mein Interesse wecken konnte. Kaum zu glauben, dass es nach dem schwachen Anfang sogar nach ca. 150 Seiten richtig mitreißend wurde!
Vermutlich, da mich keine kitschigen Szenen mehr erwarteten, und die Diskriminierung deutlich weniger wurde.
Themen wie Familie, Mutterschaft, Verlust, Trauer, Mut und innere Stärke stehen im Mittelpunkt.
Plötzlich habe ich mit Victoria sowas von mitgefiebert! Sie muss schwere Entscheidungen treffen und ihr Schicksal ist mir sehr nahe gegangen. Doch sie kämpft und gibt nicht auf – das fand ich beeindruckend! Auch ihre Entwicklung zu einer starken, emanzipierten Frau, hat mir gut gefallen.
Die Geschichte ist dramatisch, traurig, atemberaubend, hoffnungsvoll und vermutlich noch so viel mehr – eine emotionale Achterbahnfahrt, die ich erst noch eine Weile auf mich wirken lassen muss.
Durch den Klappentext und die bewerbenden Leser*innenstimmen hatte ich erwartet, dass das Buch noch mehr in der Natur, bzw. in der „Wildnis“ spielen würde, als es tatsächlich der Fall ist. Auch von einem Vergleich mit „Der Gesang der Flusskrebse“ hatte ich gelesen – doch ich kann die beiden Bücher nicht in einen Topf werfen.
Ja, der Roman beinhaltet viele schöne Naturbeschreibungen, aber weniger als erwartet. Und mehr über die Pfirsiche, als gedacht. Dennoch haben sie mir gefallen. Und gerade Victorias Liebe für die Pfirsiche ist so wundervoll und atmosphärisch beschrieben, als wäre man selbst vor Ort und könnte die Früchte sehen, riechen und schmecken …
FAZIT: Mein Leseerlebnis war äußerst zweigeteilt. Der Anfang war eine Katastrophe (zu kitschig, zu schnell, nicht authentisch, zu viel Rassismus & Ableismus), aber nach ca. 150 Seiten war ich plötzlich begeistert, wurde mit der Strömung mitgerissen, habe sehr mit der Protagonistin mitgefiebert und wurde mit einer emotionalen Geschichte belohnt.
Durch den Anfang kann ich leider trotzdem nur 3-3,5/5 Sterne vergeben.
(CN: v. a. Rassismus & Ableismus, Tod & Verlust)