Traurig-schön, liebevoll & herzzerreißend geschrieben!
(C. N.: Demenz, Suizidalität, Sterben)
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„,Ich bin es‘, sage ich und greife nach seiner Hand. Meine kalt. Seine heiß. Etwas stimmt nicht. Jemand legt einen Fels auf meine Brust. Immer, wenn etwas nicht stimmt, sehnt man sich nach Alltäglichem.“
„Hat ihm nicht gutgetan, der Ausflug ins Krankenhaus. Sagt ja schon der Name, dass dort nichts besser wird. Wer Augen im Kopf hat, sieht, dass Hubert stirbt. Jeden Tag wird er weniger. Nur mehr Haut und Knochen. Zudem scheint eine höhere Instanz die Löschtaste in seinem Gehirn zu bedienen.
Worte weg.
Fertigkeiten weg.
Erinnerungen weg.“
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INHALT:
Linda wächst bei ihrer Mutter auf, nachdem der Vater sie verlassen hat. Zu Hause herrscht oft Sprachlosigkeit, dabei spielt die 15-Jährige innerlich mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen.
Lediglich ihrem dementen Nachbarn Hubert, vertraut sie ihre Geheimnisse an, denn dort sind sie sicher.
Und neben ihm ist da noch Kevin, den sie nicht allein lassen kann. Er verbringt seine Zeit als Einzelgänger vor dem PC und verzweifelt an der Menschheit, die die Zerstörung unseres Planeten immer weiter vorantreibt.
Mehrmals die Woche unterstützt Schülerin Linda die polnische Pflegerin Ewa bei der Betreuung des 86-jährigen Hubert. Sie weiß, wofür sie den ehemaligen Bademeister begeistern und wie sie ihn aus seinem Schneckenhaus locken kann. Da werden auch mal die alten Schwimmflügel aus dem Keller geholt und Trockenübungen veranstaltet.
Mithilfe ihrer sensiblen, spielerischen und gleichzeitig humorvollen Art, begleitet die 15-Jährige Hubert, während dessen Demenz weiter voranschreitet.
Gleichzeitig entwickelt sich zwischen Linda, Hubert und Pflegerin Ewa eine immer enger werdende Beziehung.
Linda kommt dabei mehrmals mit dem Thema Sterben in Berührung und macht sich ihre Gedanken dazu: „Der Haken an der Sache ist, dass ich tagsüber wenig mit mir selbst zu tun habe und alle Gedanken, für die ich tagsüber keine Zeit habe, nach zweiundzwanzig Uhr über mich herfallen.“
Auch sie kann den Lauf des Lebens nicht aufhalten, aber was aus ihr wird, hat sie ein Stück weit selbst in der Hand …
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MEINUNG:
Von Anfang an war ich angetan von Protagonistin Linda, die sich etwa dreimal die Woche mit um den dementen Hubert trifft, der mittlerweile eine 24-Stunden-Pflege benötigt. Erst einmal Respekt dafür, die meisten Jugendliche in ihrem Alter, beschäftigen sich lieber mit anderen Dingen.
Ich war erstaunt, wie geschickt, liebevoll und einfühlsam die 15-Jährige dabei mit dem älteren Herrn umgeht. Dadurch wirkt sie in diesen Szenen deutlich älter.
Nur in Situationen mit Freund Kevin und zu Hause bei der Mutter und deren neuen Freund, kommt eine jüngere Seite von ihr zum Vorschein.
Dadurch hat das Buch immer wieder Jugendbuch-Charakter und kann gut schon von jüngeren Leser*innen gelesen werden, die sich mit den benannten Themen auseinandersetzten wollen, ohne ein zu düsteres Buch zu lesen.
Denn die schweren Themen (Demenz, Suizidalität, Sterben) werden hier oftmals mit humorvollen Zeilen und vom ironischen Unterton Lindas, aufgelockert.
Vielleicht mag das im ersten Moment nicht passend erscheinen. Vorab hatte ich die Befürchtung, dass das für mich nicht funktionieren würde. Aber ich wurde glücklicherweise eines Besseren belehrt! Manchmal kann in schwierigen Lebenslagen, Humor ein Weg sein, um mit Situationen umzugehen. Bei Demenz habe ich das selbst schon erlebt.
Der Umgang miteinander im Buch bleibt dennoch respektvoll und liebenswert, was mich schließlich überzeugt hat, dass so eine Kombination wunderbar funktionieren kann!
Ansonsten ist der Schreibstil eher locker gehalten, was ebenfalls im Kontrast zu den schweren Themen steht und bei mir dazu geführt hat, dass ich die Lektüre in einem Rutsch verschlungen habe.
Das Buch berührt unglaublich.
Die Demenz von Hubert schreitet weiter voran, was für alle Beteiligten nicht einfach zu akzeptieren ist. Dies wirkte auf mich sehr authentisch.
Vor allem mit Linda habe ich mitgefühlt, für die Hubert ein so wichtiger Anker im Leben geworden ist. Sie muss miterleben, wie es mit dem 86-Jährigen langsam dem Ende zugeht.
Besonders schön fand ich die Entwicklung der Beziehungen zwischen Linda, Hubert und Ewa. Die drei, die komplett unterschiedlich sind und aus drei verschiedenen Generationen stammen, harmonieren so wunderbar miteinander, dass eine ganz besondere Freundschaft entsteht. Ich fand es toll, dass das Zusammenspiel der drei Personen im Mittelpunkt des Buches steht – ich hätte noch ewig von ihnen lesen können!
Vielleicht kamen mir die lebensmüden Gedanken von Linda etwas zu kurz, um sie besser nachvollziehen zu können.
Die Geschichte mit Kevin mochte ich anfangs leider weniger, was vielleicht auch mit an seiner Jugendsprache lag und daran, dass mir die Situationen etwas kühler erschienen.
Doch letztendlich gibt auch dieser Handlungsstrang Sinn und am Schluss wird alles geschickt miteinander verwoben. Der „Aha-Moment“ blieb für mich dabei nicht aus.
Die kleineren Kritikpunkte fallen für mich nicht allzu sehr ins Gewicht. Denn insgesamt fand ich die Lektüre wirklich großartig!
Das Ende hat es in sich, ließ mich mit zahlreichen Gedanken zurück und klingt noch immer in mir nach …
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FAZIT: Ein traurig-schönes Buch über Demenz, Selbstfindung, das Sterben und eine ganz besondere Freundschaft. Trotz kleiner Kritikpunkte fand ich es so liebevoll und herzzerreißend geschrieben, dass es für mich zum Highlight wurde! 4,5/5 und eine klare Empfehlung, falls ihr euch mit den genannten Themen auseinandersetzen wollt und Coming-of-Age-Geschichten mögt!
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Info: Zwischendurch habe ich in das Hörbuch zum Buch reingehört, welches die drei unterschiedlichen Stimmen wundervoll darstellt, den Humor gut zur Geltung bringt und ebenfalls zu empfehlen ist!