Ohne Schnörkel, gerade heraus: gefällt mir!
Nicholas Meller ist ein Anwalt, der nicht gerade an Überarbeitung leidet. Dennoch will er eine Praktikantin einstellen. Für diesen Job bewirbt sich Nina – bildhübsch, aber nur mit einem Arm. Und sehr zielbewusst: der Job ist aus praktischen Gründen für sie interessant, denn er ist nicht so weit von ihrer Wohnung weg. Und Nina ist diejenige, der mehr auffällt, als allen Anwälten und Ermittlern: sie entdeckt Parallelen zu verschiedenen Mordfällen, auch zu einem, dessen Angeklagter Meller vertritt. Wie intelligent, gerissen und gefährlich der Täter ist, merken die beiden erst, als es schon fast zu spät ist …
Der Stil von Lorenz Stassen ist recht geradeaus. Das gefällt mir gut – ist es doch komplett konträr zur aktuellen „Mode“, jeden Text so verschwurbelt wie möglich zu verfassen. Hier bekommt der Leser exakt das, was er sieht, ganz ohne horrende Wendungen und exorbitante Zufälle. Das ist erfrischend und lässt nur so durch die Seiten fliegen. Dennoch wirkt alles auch ein wenig amateurhaft dadurch. Dass der Autor aber echt „was auf dem Kasten“ hat, merkt man spätestens auf den letzten 50 Seiten. Stassen ist einer der wenigen Autoren, die ein Buch absolut zufriedenstellend beenden können und es nicht einfach „abhacken“.
Seine Figuren sind zudem sehr lebensecht und so angelegt, dass man sie sehr gut vor dem geistigen Auge entstehen lassen kann. Das Kopfkino läuft quasi von alleine. Mit Aleksandr bedient Stassen absolut jedes Russen-Klischee, mit Nicholas genau das Gegenteil. Dass eine körperliche Behinderung tatsächlich behindern kann, aber niemanden von etwas abhalten muss, zeigt er ebenfalls mit einem kleinen Seitenhieb. Überhaupt steckt das Buch voller feinem Wortwitz, Humor, Ironie und Galgenhumor. Dennoch wird es nie billig oder albern.
Es gibt einen Ich-Erzähler-Strang aus Sicht von Nicholas und einen Strang, der in der Erzählerperspektive gehalten ist, der die Situation rund um den Täter darstellt. Diese Mischung gefällt mir super gut und versorgt den Leser mit all den Informationen, die er benötigt. Es gibt keine nervenzerreißende Spannung, dennoch ist das Buch alles andere als langweilig. Wieder einmal bestätigt sich, dass Drehbuchautoren genau meinen Geschmack beim Schreiben treffen.
Den Trend, dass der Protagonist eine verkrachte Existenz sein muss, umgeht Stassen mit einem Trick: Nicholas ist nicht der typische Anwalt, sondern krebst am Rande seiner Existenz herum. Er hatte einen denkbar schlechten Start und nicht genug Ehrgeiz und schon gar keine Energie, um seine Kanzlei so richtig in Schwung zu bekommen. Aber wenn er denn mal angestoßen ist, läuft er auf Höchstform auf. Ganz ohne Alkohol- und Drogenexzesse – wunderbar!
Dem aktuellen Trend, aus allem und jedem eine Trilogie oder ganze Serie zu machen, wird dieses Buch vermutlich auch anheimfallen. Nicholas und Nina hätten jedenfalls das Zeug dazu und die Ideen, die in diesem Buch stecken, zeigen, welches Potenzial in Stassen steckt.
Ich wurde wirklich gut unterhalten, doch für einen Thriller fehlt dann doch noch ein Stück. Für mich ist „Angstmörder“ ein toller Krimi, aber kein Thriller. Insgesamt gebe ich vier Sterne und kann das Buch ruhigen Gewissens empfehlen.
(c) Catmaniac