Karen Koschnick: Totenstätte - Städteleben
Totenstätte - Städteleben
Buch
- Eine kulturhistorische Betrachtung am Beispiel dreier Friedhöfe Berlin-Weißensee - Dresden Tolkewitz - Hamburg Ohlsdorf
- Text & Dialog GbR, 12/2024
- Einband: Gebunden
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783943897814
- Bestellnummer: 12151614
- Umfang: 772 Seiten
- Sonstiges: Referenzbilder im Bildband (Bd. 2) zum Textband (Bd. 1)
- Maße: 305 x 215 mm
- Stärke: 50 mm
- Erscheinungstermin: 30.12.2024
Klappentext
Schon im 18. Jahrhundert war über den Friedhof der idealen Stadt philosophiert worden und oft erinnern die Gräberzeilen an die Straßenzüge einer Stadt, gesäumt von ewigen oder temporären Wohnstätten. Damit offenbaren sich Referenzen und Spiegelungen lebensweltlicher, städtischer Strukturen in den Spuren der Totenstädte.Das Grabmal weist den Toten einen festen Ort der Erinnerung zu. Dessen architektonische und gestalterische Umsetzung eröffnet einen Blick auf den epochenspezifischen Umgang mit dem Tod und den Toten, da die Bestattungs- und Trauerkultur in enger Beziehung zur jeweiligen Gesellschaftsstruktur steht und jedes Grab seine Identität hat, hinter der ein Toter sowie Eigentümer stehen, die sich darum kümmern, dass die Substanz erhalten und das Erscheinungsbild bewahrt wird.
Die in der Gesellschaft vorherrschenden, zeitgebundenen Vorstellungen von Kunst, Familie, Herkunft, Selbstverständnis, Geschlechterrollen, Körperidealen, Prestige, Bildung und Glaube sowie Abschied und Gedenken, Jenseits und Diesseits offenbaren und kumulieren sich in den Grabanlagen. Die Sepulkralkultur steht also in engem Zusammenhang mit der Alltagskultur, und Lebensbereiche wie Medizin, Technik, Politik, Wirtschaft und Religion greifen in die sepulkrale Gestaltung ein. Sowohl die Grabplastiken als auch die Grabarchitektur resultieren aus diesen Schnittmengen, werden aus ihnen heraus gespeist, aber auch beurteilt. So legte die Medizin unter anderem durch ihre hygienisch motivierten Vorgaben die Größe und die Abstände der Gräber fest. Die Kunstauffassung der Zeit prägte die Ausführung und Gestaltung derselben. Die Religionszugehörigkeit bestimmte die sichtbare Symbolik, setzte Maßstäbe in der Abfassung der Inschriftentexte und entschied über die Ausführung der Grabmalsplastiken. Die Alltagskultur prägte das Bedürfnis der Repräsentation: Dieses stand aber in einem gewissen Gegensatz zum Bedürfnis nach Intimität und Privatheit, das sich in der Abgrenzung nach außen äußerte. Auch dieser intentionale Konflikt drückte sich in der jeweiligen sepulkralen Gestaltung aus. Die Lebenswelten der Menschen, deren Vorstellungen und Probleme spiegeln sich auf dem Friedhof wider.
Räumlich und zeitlich fokussiert auf drei in ihrer Struktur ganz unterschiedliche Friedhöfe - den Jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin, den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg und den Tolkewitzer Urnenhain in Dresden - tritt die Autorin als künstlerisch Forschende heran. Der Schwerpunkt des schriftlichen Teils liegt, neben der Untersuchung der Zusammenhänge von Stadt- und Friedhofsraum des 19. bis frühen 20. Jahrhunderts, auf der Auswahl und Analyse der einzelnen Grabmale als sichtbaren Zeichen der Vergangenheit sowie als bis heute gleichsam lebendigen Zeugnissen ihrer Zeit.
Räumlich und zeitlich fokussiert auf drei in ihrer Struktur ganz unterschiedliche Friedhöfe - den Jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin, den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg und den Tolkewitzer Urnenhain in Dresden - tritt die Autorin als künstlerisch Forschende heran. Der Schwerpunkt des schriftlichen Teils liegt, neben der Untersuchung der Zusammenhänge von Stadt- und Friedhofsraum des 19. bis frühen 20. Jahrhunderts, auf der Auswahl und Analyse der einzelnen Grabmale als sichtbaren Zeichen der Vergangenheit sowie als bis heute gleichsam lebendigen Zeugnissen ihrer Zeit.
Die Auswahl der drei Friedhöfe erfolgte vor allen in Hinblick auf ihre Erleb- und Wahrnehmbarkeit vor Ort und folgte dem Gedanken, dass durch die Aufbereitung von zusätzlichen Einzelheiten zur Zeit und zu den einzelnen Grabmalen ein umfassendes Verständnis für diese Zeit erwachsen kann. Denn die Grabmale erweisen sich als Symbole des Totenreiches und als Spiegel der einstigen Lebenswelt. Die seinerzeit gelebte Trauerkultur verdeutlicht in der Einbettung des Einzelnen ihre sinnstiftende Wirkung. Daraus ergeben sich kulturwissenschaftlich-soziologischen Fragestellungen: Besitzt der Totenkult jener Zeit für die Gegenwärtigen noch eine, wenn ja: welche Relevanz? Denn der Totenkult jener Epoche und dessen ritualisierte Trauerkultur existieren heute in Deutschland nicht mehr. Die ursprüngliche Bedeutungsfülle dieser sepulkralen Welten und ihr historischer Wandel, die Überschreibungen, Auslöschungen und Neugestaltungen bieten bei vertiefter Beschäftigung mehr und mehr das Bild eines Palimpsest, das u. a. vor die kunstgeschichtlichen Herausforderungen der Entschlüsselung, Freilegung und Dechiffrierung stellt.
Die Analyse der Friedhöfe und der ausgewählten Grabanlagen erfolgt so, dass die Historie des jeweiligen Friedhofs sowie seine Lage zur Stadt, das Friedhofsgelände, die Kulisse des Grabfeldes und die Gestaltung der einzelnen Grabstätten sowie die Familiengeschichte jeweils eine eigene Sequenz darstellen. Diese Form der Annäherung erlaubt die Etablierung von Fragen und Perspektiven, die beispielsweise den unmittelbaren Einfluss der Örtlichkeit und seines historischen Wandels auf die Trauerkultur nachvollziehbar machen. - So weckte zum Beispiel die Auslagerung der Friedhöfe an den Rand der Stadt in den Hinterbliebenen den Wunsch, zum Andenken an die Verstorbenen monumentale und dauerhafte Grabstätten zu hinterlassen. Das ist besonders deutlich in Hamburg belegbar, da dort die bürgerliche Gesellschaft auf den alten Friedhöfen schlichte Gruftanlagen mit Liegeplatten als Abdeckung bevorzugte, die auf dem neuen Friedhof in Ohlsdorf fast keine Verwendung fanden. Die Erwerber ließen ihre alten Grabanlagen kaum überführen, setzten sich vielmehr neue gen Himmel strebende Grabmale. - So können die Wechselwirkungen zwischen den jeweiligen städtischen Topographien, den Friedhofskonzepten, dem Bestattungswesen und der Grabmalkultur einer Zeit beleuchtet werden, die die Trauer kultivierte und deren Kult des Gedenkens sich in häufigen Besuchen des Friedhofs und seiner Gräber äußerte.
Betrachtet man die Grabgestaltung, fallen Parallelen in der Rahmung und Inszenierung aller drei Friedhöfe auf. Besonders in Weißensee und Ohlsdorf herrschten vergleichbare Bedingungen und gemeinsame Voraussetzungen. Neben dem subjektiven Kriterium der heutigen Präsenz spielten bei der Auswahl der einzelnen zu analysierenden Friedhöfe und des jeweiligen Friedhofsbereichs bestimmte vergleichbare Aspekte im Kontext ihrer Entstehung eine Rolle: z. B. der Bezug zur Großstadt (Metropole-Nekropole), die Gestaltung des Friedhofs nach architektonisch-geometrischen oder landschaftlichen Gesichtspunkten, der Einfluss religiöser beziehungsweise soziokultureller Prägung sowie die Bedeutung einzelner Akteure wie Friedhofsplaner, Bildhauer, Architekten oder Auftraggeber. Im Zentrum stehen neben der Inszenierung der Grabmale, in ihrer Gestaltung und Individualität, die Einordnung des Grabmals im Rahmen der Friedhofsgeschichte, die Verortung der Graberwerber sowie seiner Familie im gesellschaftlichen und historischen Rahmen. Weitere wesentliche Koordinaten der Inszenierungsstrategien - Lage, Größe, verwendetes Material sowie die Besonderheiten des jeweiligen Standortes - werden auf allen drei Friedhöfen zum Zwecke der Vergleichbarkeit erfasst.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Abschnitte. Im Prolog wird eine allgemeine Einführung in die wilhelminisch-bürgerliche Gesellschaft, ihre Memoriastrategien und die historische Entwicklung vom Grab sowie der neuen Friedhöfe gegeben. Im Kapitel I werden die Herkunft der einzelnen Grabtypen, die für die behandelten Friedhöfe relevant sind, und ihre charakteristischen Merkmale analysiert. Neben dieser Beschreibung des Baukörpers werden in drei Stilepochen architektonische Vorbilder benannt. Den ausführlichen Einzeldarstellungen geht so im Aufbau der Arbeit die historische Einordnung voran. Im Kapitel II wird jeder der drei Friedhöfe separat mit einer Auswahl an Grabanlagen dokumentiert. Im Kapitel III werden die neuen Friedhöfe ergänzend unter drei Aspekten - als öffentliche Bühne, als 'wilder' Kontext und als Entsprechung zur jeweiligen Stadt - behandelt. Im Epilog als zusammenfassendes Kapitel werden die Ergebnisse kurz umrissen und in den Kontext zur heutigen, grundlegend veränderten Bestattungskultur gesetzt. Mit dem Bedürfnis nach Einordnung verbindet sich zugleich der Wunsch des Begreifens dieser Epoche und ihrer Sepulkralkultur.
Anmerkungen:
Bitte beachten Sie, dass auch wir der Preisbindung unterliegen und kurzfristige Preiserhöhungen oder -senkungen an Sie weitergeben müssen.
Karen Koschnick
Totenstätte - Städteleben
EUR 49,90*