Zitat Olsen: „Es ist witzig und gleichzeitig traurig, und außerdem absolut abgedreht.“ (S. 87)
Zum Inhalt:
Der elfjährige Enno Anders heißt nicht nur so, sondern fühlt sich auch genau so: ganz anders als alle anderen. Oftmals versteht er die Welt um sich herum nicht und die Welt versteht ihn nicht. Kommt Enno vielleicht von einem anderen Stern?
Meine Meinung:
Mit „Enno Anders – Löwenzahn im Asphalt“ entführt Astrid Frank (u.a. „Wunderpferde“, „Unsichtbare Wunden“) ihre Leser in die ganz besondere Welt des elfjährigen Enno Anders und lässt uns auf eine sehr einfühlsame Weise an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben. Enno leidet sehr darunter, dass er sich anders fühlt und dies auch immer wieder von seinen Mitmenschen gespiegelt bekommt. Seine Lehrerin Frau Wolf („der böse Wolf“), die ihren Beruf eindeutig verfehlt hat, sagt „Enno kann sich nicht an Regeln halten. Er passt nicht auf, ist ständig abgelenkt, versteht die Aufgabenstelllungen nicht und will immer seinen Kopf durchsetzen.“ (S. 70). Seine Mutter sagt ganz oft „Ach Enno,…“ zu ihm, wenn er mal wieder alles vergessen oder falsch gemacht hat oder wenn er alles wieder ganz wortwörtlich nimmt. Sein Papa sagt, „Enno hat nun mal Pech, nicht in ihr (Frau Wolfs) Weltbild zu passen“ (S. 70). Und Enno denkt über sich selbst: „so was passiert mir ja manchmal, dass ich Dinge nicht merke, die für alle anderen offensichtlich sind, und andererseits Dinge sehe, die außer mir niemand sieht.“ (S. 58). Kurzum scheint Enno das ungeliebte Gegenteil seiner Schwester Elena zu sein, denn „Elena ist groß und stark und schön und kann alles und weiß alles. Und alles, was Elena macht, ist gut und richtig.“ (S. 58).
In dieser schwierigen Situation flüchtet sich Enno ein ums andere Mal in die oftmals skurrile, aber stets absolut liebenswürdige Welt seiner Gedanken und Fantasie. Er schreibt Briefe an seinen verstorbenen Opi, der ihm sehr ähnlich war und der der einzige Mensch in Ennos Leben gewesen ist, der ihn verstehen konnte. Auf seinem Computer schreibt Enno eine Geschichte über sich selbst, die noch viel mehr vor Fantasie und Fantastik strotzt als vor Rechtschreibfehlern (und davon gibt es nicht wenige). So bittersüß und stellenweise durchaus humorvoll sich das alles liest, so tiefgründig, ernst und berührend ist doch die Botschaft, denn Enno träumt von seiner eigenen Beerdigung und einer Reise zu „seinem Heimatplaneten“ Mamojusave, wo er endlich ganz normal sein kann.
Zu Beginn der Geschichte hat Enno eigentlich nur einen einzigen Menschen, der wirklich an ihn glaubt und ihn gerne und vorbehaltlos so akzeptiert, wie er ist: sein bester und leider auch einziger Freund Olsen, das hochbegabte Genie von nebenan. Es ist sehr schön zu lesen, wie Olsen Enno Halt gibt, ihn bestärkt und dabei mehr als einmal die Rolle übernimmt, die eigentlich Ennos Eltern zukommen sollte. Doch im Verlauf der Geschichte findet Enno glücklicherweise auch immer mehr und mehr Rückhalt in seiner eigenen Familie – und das ist wirklich herzerwärmend zu lesen!
***ACHTUNG SPOILER: IM FOLGENDEN VERRATE ICH, WAS ENNO SO „ANDERS“ MACHT***
Selbstverständlich lässt die Astrid Frank ihre Leser nicht ratlos zurück, sondern verrät auch durch die sehr gelungene Figur des Dr. Müller, was Enno so besonders macht: Enno ist hochsensibel – Er nimmt unglaublich viele Dinge wahr und das auch noch viel stärker, als die meisten andern Menschen. Ein „Ausblenden“ z.B. von störenden Geräuschen oder Gerüchen ist für Enno ganz, ganz schwer, so dass in seinem Kopf oftmals ein ganz großes Durcheinander herrscht. Das macht Enno unter den robusten Löwenzähnen zu einer empfindlichen Orchidee, die viel Pflege und Zuwendung braucht, um dann am Ende doch alle überstrahlen zu können!
***SPOILER ENDE***
Wenn Du eine Orchidee bist - sei stolz darauf!
FAZIT:
Bittersüß, fantasievoll, humorvoll-schräg und zutiefst bewegend. Ein flammendes Plädoyer für die positive Sicht der Individualität eines jeden Kindes und ein fantastischen Buch für alle Eltern und Lehrer besonderer Kinder – und auch für diese Kinder selbst!