„Nebelwolken im Kopf“ – ein phantastisches Abenteuer für ältere Kinder und auch Erwachsene
Zum Inhalt:
Nelli, kurz vor 10, zieht mit ihrer Mama Ava, kurz vor 30, in einem bunten Kleinbus durch die Welt, immer in Bewegung und immer auf der Suche nach Avas großer Liebe und Nellis Seemannspapa Eric, der seinerzeit spurlos verschwand und Ava das Herz gebrochen hat.
Eines Tages fliegt ein Briefträger am Bus vorbei und der bunte Bus kommt von der Straße ab. Plötzlich finden sich Ava, Nelli und ihr Schweinchen Jupiter an einem ganz nebeligen, bedrückenden und sehr merkwürdigen Ort wieder…
Meine Meinung:
*** Von Streifenmenschen und Zwischenwo***
Das rd. 255 Seiten starke Hardcover-Buch startet mit einem wunderbaren Zitat aus Michael Endes Meisterwerk „Momo“. Tatsächlich hat Nelli mich mit ihrem unbändigen Wuschelkopf schon von der Illustration auf dem Cover ein Bisschen an Momo erinnert. Aber auch die wundervolle Geschichte von Annika Scheffel weist Parallelen zu Michael Endes „Momo“ auf. Eines vorweg: In Sachen Fantasie und Erzähldichte muss sich Annika Scheffel mit ihrem Kinderbuch-Erstlingswerk nicht hinter Michael Ende verstecken!
Der Start in diese außergewöhnlich fantasievolle Geschichte gelingt wunderbar leicht und der Kreis der Hauptcharaktere ist mit Nelli, Ava und dem Schweinchen Jupiter sehr übersichtlich. Die drei mochte ich vom Start weg sehr gerne. Nelli ist ein Mädchen, das den Kopf voller Ideen und Fragen hat. Schnell nimmt die Geschichte an Fahrt auf und führt den Leser an den unheimlichen Nebelort. Ab hier geht es sehr geheimnisvoll zu. Es ist ein Ort, an dem die Gesetze von Raum und Zeit anscheinend nicht gelten… oder einfach andere zu sein scheinen. Die Uniformität der Tage dehnt die Zeit wie einen Kaugummi. Stunden, Tage oder auch Wochen vergehen, wer weiß das schon so genau? Diese melancholische, latent bedrohliche Stimmung zieht sich wie ein roter Faden bis zum Finale der Geschichte durch. Dabei rätselt der Leser die ganze Zeit mit Nelli mit, was es mit diesem Ort auf sich hat, welches Geheimnis es zu lösen gilt. Entsprechend spannend und immer wieder überraschend habe ich diese Geschichte empfunden.
Die Geschichte ist aber nicht „nur“ geheimnisvoll! Nein, sie ist auch unglaublich fantasievoll, stellenweise komisch (z.B. „Jupiters Onkel war ein sehr großer Schinken“) und – ja – auch durchaus unheimlich. Es ist eine Geschichte, die lehrt, niemals aufzugeben, egal wie ausweglos die Situation auch erscheint; Eine Geschichte über Verlustängste, überbordende Sorgen, aber auch über das mutig sein.
Auch der Schreibstil gefällt mir sehr gut, ist stellenweise richtig poetisch („Der Ort, den Großeltern „Früher“ nennen…“ – oder auch S. 45: „Das Lächeln rutsch dem Briefträger aus den Mundwinkeln, gleitet sein Kinn entlang und tropft hinab in den Nebel.“). Die Beschreibungen der Orte und Charaktere finde ich stellenweise wunderbar plastisch, dann wieder - sehr passend - irgendwie „nebelig verschwommen“. Hier passt alles perfekt zusammen.
Last but not least: Die Illustrationen von Joelle Tourlonias sind wirklich wunderbar, fast schon kleine Kunstwerke für sich! Der kleine Jupiter mit seiner Fliegermütze oder auch Einhorn & Giraffe im Wald… toll! Sie erinnern mich ein bisschen an die fantastischen Werke von Régis Loisel.
Diese Geschichte würde eine wunderbare Vorlage für einen Tim Burton Film (u.a. „Nightmare before Christmas“) liefern.
FAZIT:
Annika Scheffel hat mich wie ein sanft, aber unaufhaltsam dahin fließender Fluss auf diese literarische Traumreise mitgenommen, geheimnisvoll, surreal und immer wieder überraschend.