Zeitverschiebung
23. August 2014. Die schwedische Kriminalkommissarin Amanda Lund, 35, soll in Nordafghanistan eine internationale Einsatztruppe aufbauen, als Beraterin des afghanischen Truppenkommandanten, als sie ein Anruf ihres schwedischen Chefs Bill Ekman erreicht: zwei Mitarbeiter der Botschaft sind verschwunden. Da man eine Entführung befürchtet, soll die als Sonderermittlerin und Unterhändlerin ausgebildete Amanda vor Ort in Kabul tätig werden. Doch der schwedische Botschafter Sven Leijonhufvud erschwert die Aufgabe, indem er nur spärlich mit Informationen herausrückt. Er scheint zu lügen…dann gelingt es Amanda, den Chauffeur der zwei Mitarbeiter zu finden (auch schön: angeblich zwei Menschen wurden entführt – NEIN: DREI). Parallel dazu wird in der schwedischen Heimat eine Leiche gefunden, das Justiz- und das Außenministerium mischen sich ungewöhnlich stark ein und die afghanische Polizei scheint ganz eigene Ziele zu verfolgen. Besteht für die Vermissten noch Hoffnung?
Autorin Anna Tell ist Politologin und Kriminalkommissarin, sie hat über 20 Jahre Polizei- und Militärerfahrung in Schweden und im Ausland. Vor allem kann sie gut Charaktere beschreiben, ich konnte mir das „Personal“ des Buches gut vorstellen, mochte die Protagonisten und wollte wissen, wie es mit ihnen weitergeht; es soll dieses der Auftakt einer Reihe sein. „Vier Tage in Kabul“ übernimmt den Titel (Fyra dagar i Kabul) und das Cover des schwedischen Originals, das 2017 erschien. Der Leser ist quasi in Echtzeit bei den vier Tagen in Kabul (und Schweden) dabei. Das gefiel also. Auch das Verhalten der Politik im Sinn von „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ erscheint leider sehr plausibel.
Was mir missfiel: Ungereimtheiten, Überflüssiges, einiges.
Amanda sei am 10. Juli 1980 geboren, es ist August 2014 (diverse Polizeiberichte) und sie sei 35. Ich zähle 34?
Amanda bemerkt diverse Sicherheitslücken in der Botschaft: keine Sicherheitsübungen, Fenster werden geöffnet, Freizeitverhalten ist risikobehaftet, es wird aber kein Sicherheitstraining angeregt? In einer Gefährdungssituation?
Amanda ist Unterhändlerin, die Serie heißt „Unterhändlerin“, aber das kommt praktisch nicht zum Tragen – sie agiert als Sonderermittlerin, wäre doch auch ein Reihentitel? Die kurzen Andeutungen in z.B. den Unterhaltungen mit dem Botschafter (wann „nett“ sein, wann Druck) machen jedoch durchaus Appetit auf mehr. Viele der Bücher von Dania Dicken setzen Verhandlungstaktiken deutlich besser in Szene.
Da stellt eine Frau fest, sie ist schwanger, gut, denn sie wünscht sich Kinder. Dennoch lebt sie von Kaffee, Koffeintabletten, es gibt Alkohol und sie begibt sich mehrfach in Lebensgefahr.
Recht früh gibt es ein Kapitel aus der Sicht eines lange namenlosen Afghanen, ab da weiß der Leser eigentlich fast alles zu den (meisten) Hintergründen. Warum nur? Mit dem zweiten Handlungsstrang hält sich die Autorin da zurück, aber es ist ja so modern geworden, Handlungen auch aus Opfer- und Tätersicht geschildert zu bekommen.
Und: nicht jeder Mitarbeiter einer Botschaft ist Diplomat, die Putzfrau beispielsweise bestimmt nicht. Da weckt der Klappentext hier den falschen Eindruck.
Bill darf Rechenschaft ablegen – und der Leser darf die Namen aller lesen, die vor ihm sitzen. Aller zehn, wobei eigentlich nur Teljer relevant ist? Ich kann mit Sätzen umgehen wie „Bill wurden alle Namen genannt“, ich will die nicht auch alle lesen.
Überhaupt, es gibt etliche Namen, auch viele Abkürzungen, NDS (der afghanische Nachrichtendienst), IED (improvised explosive devices), FRAU (der schwedische Nachrichtendienst),…eine kurze Liste bitte, gerade auch für Nicht-Schweden. Ich lerne ja gerne etwas dazu, aber da hier nur mit Begriffen um sich geworfen wird, wäre die Liste ausreichend. Erkenntnisse über Afghanistan? Weniger. Da eher Khaled Hosseini. Aber neu war mir, wie stark das schwedische Afghanistan-Engagement ist. Das hätte gerne genauer werden können, meinetwegen als Anhang.
Spannung naja geht so, gut zu lesen, inhaltlich teils nicht zufriedenstellend, angenehme Hauptpersonen. 3 Sterne, aber der Folgeband kommt ja auch erst in über einem Jahr.